Kinderhilfe Nepal e.V.


Rundbrief Dezember, 2015

Liebe Freunde,

sechs Monate nach dem großen Erdbeben, ist jedes Solidaritätsgefühl der Nepalesen für die Opfer der Katastrophe völlig verschwunden. Seit drei Monaten geht es nur noch um das Problem mit den Indern und den Madhesis: Die Madhesis leben im TERAI, den südlichen Ebenen Nepals (S.Karte). Ob sie als Nepalesen offiziell registriert sind oder nicht, alle sind von indischer Kultur und wurden schon immer von den Regierenden in Kathmandu diskriminiert oder ignoriert.

Nach der Abschaffung der Monarchie in 2008 fingen sie an, immer resoluter ihre Rechte einzufordern. Am 20. September 2015 wurde nach Jahren unnötiger Diskussionen endlich eine nepalesische Verfassung auf die Beine gestellt. Da sie aber die Bedürfnisse der Madhesis nach wie vor nicht berücksichtigt, blockierten diese alle Straßen, die Nepal und Indien verbinden, und verhindern seitdem die Versorgung des Landes an lebenswichtigen Gütern: es gibt kein Benzin, also keine Transportmittel, kein Gas und keine Grundnahrungsmittel mehr.

Heute, fast drei Monate nach dem Beginn dieser Blockade, sind die Fabriken Nepals aus Mangel an Ersatzteilen geschlossen. Taxifahrer müssen vier Tage und Nächte lang Schlange stehen, wenn sich ein paar Tanker durch die südliche Grenze schleichen, oder wenn Benzin und Diesel aus China auf den schwer befahrbaren Straßen des Himalayas nach Kathmandu durchkommen können.

Die meisten Geschäfte und Restaurants sind geschlossen. Die nepalesischen Medien unterstützen ihre Regierung, indem sie das schon immer vorhandene anti Indien Gefühl schüren. Die neue Verfassung verbietet den in Nepal lebenden Indern durch Heirat eines Nepalesen oder einer Nepalesin die nepalesische Staatsangehörigkeit zu erhalten. Anderseits darf ab jetzt ein nepalesischer Bürger eine staatliche Stelle nur dann bekommen, wenn seine beiden Eltern in Nepal geboren wurden: Dies sind genau die Verfassungspunkte, die die indische Regierung geändert haben will.

Menschen indischen Ursprungs (Inder und Madhesis) sollte es möglich gemacht werden, höhere Ämter in Kathmandu zu bekleiden, damit es für Indien leichter ist, die politischen Fäden in Kathmandu von Delhi aus zu ziehen. Und dass die nepalesische Regierung sich gerade jetzt in den Händen einer Koalition von Kommunisten und Maoisten befindet, gefällt dem rechts konservativen indischen Präsidenten Narendra Modi ebenfalls nicht.

Der große Konkurrent China im Norden versucht, Nepal mit Hilfe beizustehen, was Indien natürlich äußerst missfällt. In Wahrheit hat Nepal, eingerahmt von zwei solch mächtigen Nachbaren wie China und Indien, nicht viel zu sagen. 1980 wurde ein Vertrag zwischen Indien und Nepal unterzeichnet, in dem Nepal sich für 100 Jahre verpflichtete, den an Dürre leidenden indischen Kontinent mit Wasser aus dem Himalaya zu versorgen.

Aber die Drohung Nepals, diesen Vertrag nicht zu erfüllen, beeindruckt Indien überhaupt nicht. Außerdem versteckt der extrem religiöse Mr. Modi keines Falls, dass sein größter Wunsch darin besteht, aus Nepal einen Hindustaat zu machen, obwohl Hindus, Buddhisten, Moslems und Christen seit Jahrhunderten dort in Frieden zusammenleben. Indien hat zwar kein Recht, sich in die internen Angelegenheiten des Nachbarlandes offiziell einzumischen, aber es tut es, indem es klammheimlich die im südlichen Nepal lebenden Madhesis bei der Blockade ihres Landes effizient unterstützt.

Nepal, das im April vom großen Erdbeben schon zu Grunde gerichtet wurde, wird immer schwächer, und keiner denkt ernsthaft an den Wiederaufbau der Infrastruktur des Landes und der Häuser in den schwer betroffenen Regionen. Die UN-Organisationen drohen der nepalesischen Regierung, den größten Teil der nach der Katastrophe versprochenen 4,4 Milliarden USD Hilfe an andere bedürftige Länder zu geben, wenn der Wiederaufbau des Landes nicht sofort anfängt. Die Erdbebenopfer sind allein gelassen und bauen ihre Häuser erneut mit denselben Steinen, die ihnen im April auf den Kopf gefallen sind, und statt Zement wird Lehm benutzt, so dass die nächste Erdbebenkatastrophe vorprogrammiert ist.

In diesem Chaos geht die Arbeit von Kinderhilfe Nepal weiter, aber auch sie wird von der politischen Situation behindert. Durch die Großzügigkeit einer unserer Spenderinnen sind es nicht nur 10 erdbebensichere Häuser, die wir im Dorf MUDHKU bauen können, sondern 20. Es war ein wahrer Albtraum, die nötigen Baugenehmigungen von den zuständigen Regierungsstellen zu bekommen, da diese auf die Madhesis-lndien Krise fokussiert waren.

Trotzdem bekamen wir mit der Hilfe eines jungen Anwalts die notwendige staatliche Baugenehmigung. Ein befreundeter nepalesischer Architekt hat für die 20 Häuser in Mudhku kostenlos Pläne entworfen, und ein Vertrag mit drei Bauingenieuren konnte Mitte Oktober unterschrieben werden. Nur ändert sich die politische Situation nicht, und heute, fast drei Monaten nach Vertragsabschluss, sind Baumaterialien nach wie vor unmöglich zu bekommen. Nach einer Internet Video Konferenz wurde von beiden Seiten beschlossen, das Ende der Blockade Nepals abzuwarten, um den Bau zu beginnen. Die Bauingenieure sind damit nicht zufrieden, aber es ist zu riskant für Kinderhilfe Nepal ein Projekt anzufangen, das vielleicht doch nicht zu Ende gebracht werden kann, zumal nepalesische Baufirmen nicht versichert sind, und WIR am Ende die Verlierenden sein würden.

Dieses Jahr sind die Maute Nomaden wegen der schwierigen Situation im Lande nicht wieder erschienen. Wie in den Slums von Thapathali und Banshigat haben wir auch in Mudhku die Kinder mit Winterjacken versorgt, die wir glücklicherweise im August schon bestellt hatten. Eine Kinderärztin untersuchte alle Kinder, und die nötigen Medikamente wurden verteilt.

In Banshigat ersetzt NEER jetzt Sushma und unterrichtet die Kinder, die in sechs Monaten eingeschult werden sollen. Da Sija ihre Masterarbeit in Psychologie schreiben soll, kann sie nicht mehr mit uns arbeiten. Muna besucht nach wie vor beide Slums und sorgt für das Wohlergehen der Kinder in beiden Gesundheitsposten. Außerdem fährt sie zwei Mal in der Woche nach Mudhku und betreut die Erdbebenopfer ihres Dorfes. Sushma behält die Kontrolle über das ganze Projekt, hilft Muna und Neer, wenn sie gebraucht wird, und kümmert sich mit großer Genauigkeit um die Buchführung des Projekts. Sie ist auch in ständigem Kontakt mit den Bauingenieuren, damit die Bauarbeiten in Mudhku nicht in Vergessenheit geraten.

Wir können froh sein, dass die Großhandel Firmen die uns seit Jahren Kinderbrei, Lebensmittel und Trinkwasser verkaufen, uns während der Blockade des Landes weiterhin unterstützen und uns helfen, die Kinder der Slums zu versorgen.

Sonst werden Benzin, Gas und Trinkwasser mit strenger Priorität an die Diener und Chauffeure "wichtiger" Leute verteilt. Die Mittelklasse jammert unter sich über das eigene Leid, aber um die mehrere Hunderttausende, die den vier Monate langen Winter unter ihren Plastikplanen verbringen müssen, kümmert sich niemand. Die Nepalesen sind ein anpassungsfähiges Volk, und die Armen beklagen sich grundsätzlich nie. Von Mudhku aus bedanken sich sogar "unsere" Erdbebenopfer bei Ihnen allen für die festen Plastikbehausungen, die wir für sie im Juni gebaut haben. Sie gehen früh schlafen, stehen erst auf, wenn die Sonne ihr Zelt erwärmt hat, und warten sorglos auf bessere Zeiten.

Vielleicht sollten wir, Europäer, von ihnen etwas lernen... Auch wir bedanken uns bei Ihnen für Ihre wertvolle Unterstützung bei dieser Hilfsarbeit und wünschen Ihnen schöne Weihnachten und ein gutes, gesundes Neues Jahr!

Ganz herzliche Grüße

Elisabeth Montet