Kinderhilfe Nepal e.V.


Rundbrief Dezember, 2011

Liebe Freunde,

Der November gilt als die beste Zeit für einen Besuch in Nepal. Dieses Jahr aber wurde die Reise für viele Touristen zum echten Abenteuer. Die meiste Zeit war das Tal von Kathmandu von dichten, schmutzigem Nebel bedeckt, und die Trekkingbesucher mussten tagelang - manchmal wochenlang - in den Bergdörfern des Himalajas darauf warten, in die Hauptstadt zurückgeflogen zu werden, weil die Landung der kleinen Flugzeuge im Tal von Kathmandu unmöglich war.

Zur Zeit ist Dr. Baburam Bhattarai. der Ideologe der maoistischen Bewegung, an der Reihe, Premierminister zu sein. Er gilt sogar bei der Opposition als ein mutiger, unbestechlicher Politiker, aber da er regieren muss, sieht er sich mit den Realitäten der Macht konfrontiert. Weil er mit Indien verhandelt, das schon immer von seiner Partei als "kapitalistischer Feind" bezeichnet wurde, wird er von der Basis heftig kritisiert. Darüber freuen sich die anderen Parteien, die nur auf die Gelegenheit warten., ihn durch einen bequemeren Politiker zu ersetzen. Auch mit China wird eng zusammengearbeitet, und es ist heute deutlich sichtbar, dass die Großmacht schon längst ihre Wurzeln im Land geschlagen hat: Die Chinesen sind dabei, Straßen und Brücken zu bauen, damit sie für ihr Land einen besseren Zugang zu Indien erreichen. Auch in Kathmandu wird unbarmherzig Platz geschaffen, um die Straßen zu erweitern.

Mitte November wurde angekündigt, dass 11 der 74 Slumgebiete, die alle auf staatlichem Land liegen, innerhalb von 14 Tagen geräumt werden müssen. Dies hatten wir den Menschen aus den Slums, die sich immer öfter Geld leihen, um festere Häuser zu bauen, schon längst prophezeit. Keiner wollte uns glauben, und viele sind heute hoffnungslos verschuldet. Der Slum von Banshigat ist betroffen, und seine Bewohner demonstrieren und möchten gern verhandeln. Aber auch wenn sie dadurch ein bisschen Zeit gewinnen, werden sie verlieren. Wir setzen unsere Arbeit fort. Dieses Mai war die Stimmung zwischen uns und den Verantwortlichen des Slums etwas getrübt, weil wir festgestellt hatten, dass die Siedlungen wieder schmutziger geworden waren. Eine Tatsache, auch Sija entgangen war, die jeden Tag ihres jetzigen Lebens im Slum verbringt.

Tenzing und Smita, die ihr vierjähriges Studium in Physiotherapie in Bangalore gerade beenden. haben die Kinder zehn Tage lang orthopädisch untersucht. Es war für uns erschreckend, dass die meisten von ihnen an Wirbelsäulen- und Beinverkrümmungen leiden. Die Mütter wurden hinzugezogen, und sie lernten 2-3 notwendige Übungen, die sie täglich mit ihren Kindern ausführen müssen, damit sie gesund werden. Viele Erwachsene, auch ältere Menschen, kamen, die über Schmerzen klagten. Auch ihnen wurde geduldig beigebracht, wie sie ihr Problem in den Griff bekommen können. Bei solchen Aktionen bleibt uns nur zu hoffen, dass alle, besonders die Mütter, sich an diese Übungen halten. Wie jedes Jahr haben wir über 300 Winterjacken verteilt.

Über den Fall Mohammad Aktar, der eine Nierentransplantation benötigt, könnten wir ein ganzes Buch schreiben. Alle Spender, die sich bei uns gemeldet haben, waren mit einer Ausnahme dafür, dass dem Jungen geholfen wird. Das Dilemma, ob wir es tun sollten oder nicht. wurde von einer großzügigen Spenderin gelöst, die sich bereit erklärte, die 11.000 € für die Operation zu übernehmen.

Vier Monate lang tat Sija alles, um den Eingriff zu ermöglichen: Erst einmal stellte sich heraus, dass eine Nierentransplantation in Nepal nur möglich ist, wenn das Organ von einem Blutsverwandten stammt. Vor einem Jahr wurde ein Urologe verhaftet, der sich seit längerer Zeit durch einen umfangreichen Handel mit Nieren auf Kosten armer Leute bereichert hatte. Dann erfuhren wir, dass eine Transplantation mit einer fremden Niere nur in Indien möglich wäre. Mohammad Aktar hielt uns lange hin: Sein Bruder würde ihm eine Niere spenden, meinte er, dann fanden wir aber heraus, dass er gar keinen Bruder hat. Während dieser Zeit wurde er häufig untersucht und auf die Operation vorbereitet. Zuletzt brachte er eine sehr junge, völlig verängstigte Frau, Mutter von vier Kindern, zu uns, die von ihren drei Brüdern und ihrem Mann begleitet wurde. Die Familie hatte beschlossen, eine ihrer Nieren für 6000 € zu verkaufen!

Entsetzt und ohne zu zögern wurde entschieden, auf eine solche Vereinbarung nicht einzugehen und Mohammad Aktar seinem Schicksal zu überlassen. Er hatte uns so oft belogen und betrogen, dass unsere Unterstützung bei seiner Suche nach einer Niere nicht mehr vertretbar war. Er lebt jetzt bei der Moschee von Kathmandu, und wie wir erfuhren, werden die Kosten für seine Dialyse von seinen Religionsbrüdern getragen und nicht wie er ursprünglich behauptet hatte, durch das Betteln seiner Mutter.

Da Muna und Sumitra ihr Studium als Gesundheitsassistentinnen beendet haben, werden sie jetzt für unser Projekt arbeiten. Sija kümmert sich weiter um die Slums von Banshigat und Palpakot, währene Muna und Sumitra durch alle Slums ziehen, um Müttern und Kindern zu helfen, die sich in besonders schwierigen und dramatischen Situationen befinden, zum Beispiel Meena Paryar, die im Alter von 16 Jahren von einem explodierenden Gaskocher schwer verbrannt wurde. Heute ist sie 22 Jahre alt. Bevor ihr Mann sie verließ "beschenkte" er sie mit zwei Kindern. Sie kann nichts tun. weil ihre rechte Hand völlig verkrümmt und versteift ist. Auch ihren Kopf kann sie nicht heben und muss sich zwei Operationen an der Hand und am Hals unterziehen, um ihre Kinder selbst versorgen zu können. Die Operationen sind für den kommenden März geplant. Yesu, 11, ist schwer geistig behindert und leidet an Aggressivität und Selbstzerstörungsdrang. Muna brachte ihn mit seiner Mutter und mit Hilfe von zwei starken Männern in das psychiatrische Krankenhaus. Er wurde zuerst medikamentös behandelt, damit er sich nichts mehr antut.

In der nächsten Slumgasse lebt Arjun Gurung, 10, ein sonniges Kind, das trotz seiner Behinderung als Spastiker kommunizieren kann. Wir haben ihn in die einzige Schule für behinderte Kinder in Kathmandu eingeschrieben. Für 50 € im Monat wird er täglich im Slum abgeholt, bekommt ein Mittagessen und wird wie die anderen Kinder wohlhabender Familien unterrichtet und physiotherapeutisch behandelt. Für ihn ist es ein neues spannendes Leben, denn genauso wie Yesu hatte er vorher nur innerhalb der Slumhütte gelebt. Der ältere Jakub wohnt gleich nebenan. Er ist völlig gelähmt und wird nie aus dem Haus getragen. Er versteht zwar alles, kann aber nicht sprechen. Mit zwei warmen Decken und einem kleinen chinesischen Radio konnten wir ihm eine Riesenfreude bereiten.

Das allerschlimmste Elend ist im Lager der Nomadenkaste der Mautes zu finden. Sie zelten für sechs Monate in Kathmandu, wo sie Schweine züchten und verkaufen. Dann ziehen sie weiter. Es gibt sicher kaum einen übler riechenden und schmutzigeren Ort als diesen wandernden Slum! Zwei spastisch behinderte Kinder bleiben dort unbehandelt. Es ist schwer, für sie etwas zu tun, da sie bald fortziehen werden. Unser schlimmster Fund war das namenlose Babymädchen mit Gaumenspalte, dessen junge Mutter kurz nach der Geburt starb. Der Vater ließ sich überzeugen, das Kind, operieren zu lassen. Wie aber kann sich ein so kleines, unterernährtes Kind das mindestens drei Operationen über sich ergehen lassen muss, an einem solchen verseuchten Ort überhaupt erholen und überleben? Kommt Zeit kommt Rat. Wir können nicht mehr als unser Bestes tun.

Angeborene Missbildungen sind in Nepal häufig, besonders bei den Mautes, weil Menschen innerhalb der eigenen Famillie heiraten. Munaria, 36 wurde als Baby zusammengeschnürt und "verformt", damit sie verkrüppelt aufwächst und beim Betteln Geld für die Familie einbringt. Seit sie laufen kann, geht sie auf allen Vieren wie ein Hund. Gerade diese Frau, die eine für diesen Ort unglaublich würdige menschliche Ausstrahlung besitzt, wurde von Muna und Sumitra eingesetzt, um den Kindern dreimal am Tag Medikamente auszuteilen, nachdem sie sich Gesicht und Hände mit Seife gewaschen haben. Alle hatten entsetzlich eitrige Augen und bekommen Antibiotika Tropfen. Munaria hat dadurch einen neuen Status in der Gemeinschaft gewonnen und wird jetzt respektiert. Es ist nicht selten, dass Eltern ihre Kinder verstümmeln, damit sie der Familie später durch ihr Betteln das Haupteinkommen sichern.

Während andere Vereine es vorziehen, feste Gebäude zu errichten, ist unsere Arbeitsweise anders. Wir gehen lieber zu den bedürftigsten Menschen und leisten Hilfe, wo sie am dringendsten benötigt wird. Auch wenn alle Slums von Kathmandu morgen von Bulldozern vernichtet würden, bräuchten wir nur mit den Armen weiter zu ziehen, die ja irgendwo eine Bleibe finden müssen.

Herzlichen Dank an Sie alle, dass Sie durch Ihre Unterstützung das Leben dieser Menschen erleichtern. Auch in diesem Jahr wünschen wir Ihnen schöne Weihnachtstage und ein gutes und gesundes neues Jahr!

Elisabeth Montet