Kinderhilfe Nepal e.V.


Rundbrief Dezember, 2010

Liebe Freunde!

Wieder einmal hat der harte Winter Nepal überfallen, und die Menschen müssen auf die ersten Sonnenstrahlen warten, um ihre unbeheizten Häuser und Hütten zu verlassen. Die Situation des Landes bleibt katastrophal. Die Bevölkerung ist von der Unfähigkeit der Politiker bitter enttäuscht und spaltet sich langsam in zahlreiche ethnische Gruppen auf, die allerlei unerfüllbare Forderungen stellen. Dies verursacht immer mehr Misstrauen und Feindseligkeit unter den Menschen. Die internationalen Geldgeber betonen, dass die unsichere politische Lage sowie die allgemeine Korruption eine Unterstützung Nepals nicht mehr rechtfertigen. Entsprechend finden sich kaum Firmen, die bereit sind, in dem Land zu investieren, zumal der Mangel an Strom 7 Stunden am Tag die Entstehung von kleinen Fabriken nicht gerade fördert. Die allgemeine Unterernährung der Kinder des Landes lässt besonders in entfernten Regionen viele von ihnen vor ihrem fünften Lebensjahr an Diarrhöe, Cholera und Pneumonie sterben.

Die nepalesischen Zeitungen haben sich nur schwach gegen die Anklage gewehrt, dass die 1000 nepalesischen UN-Friedenssoldaten in Haiti die Cholera eingeführt hätten, denn jeder, der Nepal kennt, weiß, dass die Cholera besonders im Sommer im Lande hier und da auftritt, auch wenn sie sich bis jetzt nicht zu einer großen Seuche entwickelt hat. Und jeder, der vom äußerst niedrigen Bildungsniveau der nepalesischen Soldaten weiß, wundert sich, warum Männer, die von klein auf in Armut und mangelhaften hygienischen Verhältnissen aufgewachsen sind, von den Vereinten Nationen für eine so wichtige Aufgabe in das Elend Haitis geschickt wurden. Die Antwort ist einfach: Nepalesische Soldaten sind billig, auch wenn diese niedrigen Löhne für sie eine Menge bedeuten. Ihre Familien in Nepal müssen ernährt werden, und sie zögern nicht, in die gefährlichsten Krisengebiete der Welt zu ziehen, auch nach Afghanistan.

Die Nepalesen, die noch vor 10 - 20 Jahren sehr freundliche Menschen waren, sind heute oft aggressiv und brutal. In den engen Gassen von Kathmandu für unsere Slums einkaufen zu gehen, ist eine echte Herausforderung geworden: Man wird achtlos weggeschoben, getreten und sogar angespuckt, wenn man nicht schnell geschickt beiseite springt. Keine Chance, irgendwelche Ware zu bekommen, ohne sich knallhart mit den Ellenbogen einen Weg durch die Menge zu verschaffen!

Trotzdem läuft unsere Arbeit in unseren Slumgemeinschaften weiter und deshalb sind die Menschen dort weiterhin nett und dankbar. Unser Ernährungsprogramm für Kleinkinder läuft in vier Slumgebie-ten weiter. Etwa 500 Kinder wachsen gesundheitlich unter den besten Bedingungen auf. Unsere jährliche ärztliche Untersuchung hat uns dies bestätigt, denn dieses Jahr benötigten wir nur noch 50% der Menge an Medikamenten, die wir im letzten Jahr verteilen mussten. Aus Mangel an Geld achten die Eltern oft nicht auf die Gesundheit ihrer Kinder. Das Baby Jitendra wird sehr bald operiert werden müssen, um eine neue Herzklappe zu bekommen. Das Mädchen Bindu leidet an einer seltenen genetischen Krankheit, Xeroderma Pigmentosum, die ihr Gesicht durch bösartige Tumore entstellt. Das Krebsgewebe wurde aus ihren Augen entfernt, in die sie jetzt als Tropfen eine Chemotherapie bekommt. In diesem Monat wird sie im Gesicht operiert. Hätte sie sich nicht ein Jahr lang in ihrer Hütte versteckt, wäre ihre Nase noch zu retten gewesen... Diese Krankheit ist unheilbar, und Bindus Lebenserwartung beträgt wahrscheinlich nur noch ein paar Jahre.

Auch dieses Jahr verteilten wir wieder Hunderte von Winterjacken an die Kinder, denn die vom letzten Jahr wurden vier Monate lang Tag und Nacht getragen und waren zu Lumpen geworden. Die Frauen von Banshigat haben die Säuberung der Slumgassen nicht aufgegeben, die wir im Juli initiiert hatten, und wir haben beschlossen, noch mehr Hygiene zu erreichen, indem wir die Hauptstraße mitten im Slum zementieren. So werden die Kinder und die Menschen nicht mehr im Schlamm oder Staub leben, und wir planen, diese wichtige Verbesserung in den nächsten Jahren zu erweitern. Wir haben der Gemeinschaft alle Materialien wie Steine, Sand und Zement zur Verfugung gestellt. Alle Männer waren ursprünglich bereit, an der Arbeit teilzunehmen, aber Kartenspielen und Trinken wurden jedoch schnell interessanter! Da es für uns unerträglich war, zuzusehen, wie die Frauen diese Schwerstarbeiten übernahmen, haben wir zu ihrer Unterstützung Fachkräfte eingestellt. Die Menschen im Slum lassen sich grundsätzlich gern fotografieren; zu vermeiden ist jedoch, Männer beim Spielen oder Trinken aufzunehmen, weil sie sich dann schämen und unangenehm werden. Es sind die Frauen, die die Familie ernähren, und sehr viele Männer sind einfach hoffnungslose Alkoholiker. 25% der Menschen aus den Slums überleben, indem sie in Müllhalden noch Verwertbares finden. Die meisten anderen Frauen und manche Männer verkaufen sich täglich an Baustellen, wo sie schwere Arbeiten erledigen.

Der Höhepunkt dieses Novemberaufenthalts in Kathmandu wurde das unverhoffte Wiedersehen Sumitras mit ihrer vor 18 Jahren verlorenen Mutter Bhogiya. Wir hatten sie als dreijähriges Kind im Touristenviertel schwerkrank allein gefunden. Sie gehört der Nomadenkaste der Maute an, die, allmählich, besonders im Winter, in den Slums sesshaft werden. Durch Zufall fand Sija eine Frau, die behauptete, Sumitras Mutter zu kennen. Sie führte uns zu einem kleinen Zeltlager, wo wir tatsächlich die solange ersehnte Mutter in unglaublich elenden Lebensumständen fanden. Der damalige Stiefvater hätte Sumitra in ihrer Abwesenheit an eine Touristin verkauft, meinte Bhogiya. Sie suchte monatelang verzweifelt nach ihrer Tochter. Vergebens.

Das Wiedersehen war rührend, war aber auch ein Schock für Sumitra. Wir haben die Mutter und ihren neuen, netten Partner Kuseshwor aus dem Müll geholt und im Slum von Banshigat untergebracht. Ein Gebiss für ihn und das Nötigste für sie veränderten die beiden völlig. Noch nie in ihrem Leben hatten sie in einem Bett geschlafen. Sie wohnen jetzt in einem der Zimmer im Hause von Bina, der Verantwortlichen des Slums. Sie passt auf die beiden auf und sagt ihnen liebevoll, was zu tun ist. Sie verdienen ihren Unterhalt, indem sie die Siedlung täglich säubern. Sumitra, die sich 18 Jahre lang so heftig nach mütterlicher Zärtlichkeit gesehnt hatte, ist auf einmal zur Mutter ihrer Mutter geworden, eine für sie schwierige Situation, denn sie muss ihr alles beibringen, was man üblicherweise als kleines Kind lernt: sich waschen, aufräumen, hygienisch kochen etc.

Heute beendet Sumitra mit Renu, Laxmi und Muna zusammen ihr Studium als Gesundheitsassistentin, das die Mädchen nächstes Jahr in entfernte Himalajadörfer schicken wird. Dort werden sie Gesundheitsposten führen, in denen sie die Aufgabe eines Arztes erfüllen. "Echte" Ärzte weigern sich, die Hauptstadt zu verlassen, und viele junge Leute bekommen deshalb diese dreijährige Ausbildung, die zwar bei uns nicht ausreichend wäre, um medizinisch tätig zu werden, in Nepal aber vielen Menschen das Leben rettet. Bei der ärztlichen Untersuchung von 400 Kindern aus den Slums haben die Mädchen tüchtig mitgeholfen und den fünf Ärzten assistiert, die wir dafür eingesetzt hatten.

Auch wenn Children's World aufgelöst ist, kommen immer wieder ehemalige Brüder und Schwestern auf Besuch in die Wohnung, die sich Sija, Kusum und Prakash teilen. Prakash, der Bruder unseres an Leukämie verstorbenen Pramod, studiert Ernährungswissenschaft und kümmert sich um eine genaue Buchführung des Projektes, nachdem Meena diese Aufgabe nicht mehr erfüllt. Nach vierjährigen Studien in Indien, kam unsere blinde Goma zu Besuch nach Kathmandu. Sie hat Ihnen einen Brief geschrieben, der unter ihren sehr genauen Anleitungen von Kusum ausgeschmückt wurde. Goma weiß nämlich immer, was sie will! Von unseren 60 Kindern von Children's World ist keines reich geworden, aber sie leben in viel besseren Verhältnissen als ihre Eltern, und inzwischen haben wir 70 Enkelkinder!!!

In den Slums wird es lange dauern, bis der Begriff Familienplanung überhaupt verstanden wird. Also bleibt uns nur übrig, unsere Arbeit mit Geduld und im Rahmen des Möglichen fortzusetzen. Im Namen der Menschen aus den Slums möchten wir uns bei Ihnen wieder für Ihre unentbehrliche Unterstützung bedanken.

Wir wünschen Ihnen frohe Weihnachtstage und ein gutes, gesundes Neues Jahr

Elisabeth Montet