Kinderhilfe Nepal e.V.


Rundbrief Dezember, 2005

Liebe Freunde,

Seit "Seine Majestät" König Gyanendra Bir Bikram Shah Dev sich am 1. Februar dieses Jahres zum unnachgiebigen Despot erklärt hat, ist die politische Lage in Nepal aussichtslos. Zu seinem Geburtstag wurde sein Photo in allen Schaufenstern des Landes ausgehängt. Die Medien feiern den Monarchen tagtäglich, während viele Journalisten im Gefängnis sitzen oder verschwunden sind. Alle politischen Gruppierungen habe eine Einheitspartei gebildet, die Verhandlungen mit den maoistischen Rebellen und eine Rückkehr zur Demokratie verlangt. Das Tal von Kathmandu ist durch Armee und Polizei in fester Hand des Königs. Kommt zufällig"Seine Majestät" vom Flughafen von einer Reise zurück, dann jagen und schlagen ganze Polizeieinheiten 10 Minuten vor der Vorbeifahrt seiner gepanzerten Limousine alles, was sich auf seinem Weg bewegt. Frauen, Kinder, niemand wird verschont: die Straßen müssen leer sein.

Dilip, unser Buchführer, wollte gerade nach Hause gehen, als mehrere Polizisten auf ihn so heftig einschlugen, dass er eine tiefe Wunde an der Hüfte davon trug. So gern man gegen solche Vorgehensweisen etwas tun würde, muss man doch schweigen. Anzeige erstatten würde, wie bei uns z.B., das Ende -des Projektes bedeuten. Die maoistischen Rebellen möchten durch Vermittlung der UNO mit der Einheitspartei verhandeln. Da diese Partei den Vorschlag ablehnt, ist die Situation blockiert. Die Straßen nach Indien und China werden von der Armee beschützt, sonst herrschen die Rebellen im größten Teil des Landes, und auch wenn sie nicht über viele Waffen verfügen, sind sie eine echte Gefahr für die Armee des Königs. Töten und Folter von Menschen auf beiden Seiten werden von den machtlosen Organisationen für Menschenrechte denunziert, aber Nepal gerät bei der internationalen Gemeinschaft immer mehr in Vergessenheit.

Während der Despot beim neuen Jahresbudget seine Lebenskosten um 36% erhöht hat, verarmt das Land weiter. Die in ihrer Heimat gewarnten Touristen bleiben fern. Hotels und Restaurants sind leer, und die Arbeitslosigkeit wächst dramatisch. Wenn es einem gelingt, eine Firma zu gründen, nimmt er sowieso seine Verwandten und Menschen aus der eigenen Kaste als Angestellte, und dies auch, wenn sie die dazu notwendigen Fähigkeiten nicht besitzen. Auch Banken und größere Firmen funktionieren auf diese Art.

Unsere größeren Kinder finden diesen Brauch empörend, weil sie alle aus der schlimmsten Armut kommen und über keine Beziehungen verfügen. Drei von ihnen, Hareram, Santosh und Saroj, versuchen wie die meisten Nepalesen eine Anstellung als Elektriker und Mechaniker in den Golfstaaten zu bekommen. Dort werden sie so gut wie nichts verdienen, aber immerhin 10 mal mehr als in Nepal, wenn sie da überhaupt eine Arbeit fänden! Alle wären froh, in unserem schönen Haus zu wohnen, aber es kommt kein Tropfen Wasser aus den Hähnen heraus!

Die Regierung gibt zwei Stunden am Tag Wasser, das wir in einen Tank fließen lassen, aber es reicht nicht für 60 Personen und wir müssen uns also trennen, das heißt: schon wieder umziehen!!! Ein sehr belastender Gedanke, denn Wassermangel herrscht in den meisten Teilen der Stadt und wir müssen Unterkünfte finden, die dem angekündigten großen Erdbeben einigermaßen standhalten. Die großen Mädchen und Jungen werden je in einer Wohnung leben, während wir die Bewohner von Children's World auf 25 jüngere Kinder und 5 treue Mitarbeiter verkleinern werden. Wir werden die Größeren mit Geld für die Miete, Universitätsgebühren, trockener Nahrung (Linsen, Reis, Sojabohnen usw...) versorgen und sie medizinisch betreuen. Sie werden selber kochen und lernen, sich selbst zu verwalten. Jeden Samstag werden sie unbedingt ins Haupthaus zu einer obligatorischen Versammlung kommen, um Informationen auszutauschen und eventuelle Probleme zu lösen.

In einem kleinen Laden Kathmandus haben wir Sunita kennengelernt. Sie ist 17, kommt aus ganz armen Verhältnissen und hatte zwei große Tumore am Hals. Da ihre Eltern kein Geld für einen Arzt hatten haben wir die Kosten ihrer Behandlung übernommen. Sie wurde operiert und hatte Glück. Es war kein Krebs, sondern "nur" Drüsentuberkulose. Die Tumore wurden entfernt, sie bekommt für mehrere Monate von uns die teuren Medikamente, die sie heilen sollen, und wir zahlen ihr eine Schneider- und Nähausbildung, damit sie mit ihrem Leben etwas anfangen kann.

In den Slums arbeiten unsere Mädchen nach wie vor mit einem beneidenswerten Einsatz. Wir haben vor der Schule eine Toilette und einen Wasserhahn installiert. Auch die Kanalisationsrohre, die wir verlegt hatten, haben wir mit Erde und Sand bedeckt, um aus dieser Fläche einen Spielplatz zu machen. Die Kinder profitieren von der vitamin- und mineralreichen Nahrung, die sie täglich bekommen. Unsere Projektleiterin Sija schließt die Schule nie, um - wie sie meint - die Ergebnisse ihrer bisherigen Arbeit nicht zu gefährden. Sie steht in engem Kontakt mit den Müttern, die alle aus eigener Initiative ein" Einsatzkommando" gebildet haben: Mit Stöcken bewaffnet, patrouillieren zwischen 19 Uhr und 1 Uhr morgens die 60 Frauen in Gruppen durch die engen "Gassen" des Slums, und greifen da sofort ein, wo eine Frau von ihrem betrunkenen Mann geschlagen wird. Auch werden Spielkarten beschlagnahmt, weil die Männer das bisschen Geld, das sie tagsüber verdienen, völlig verspielen. Dieses "Elitekommando" ist jetzt gefürchtet und wir haben ihm Taschenlampen gekauft, um ihre Einsätze zu erleichtern. Frauensolidarität im Slum, das macht besonders Freude, denn Nepalese sind von Natur aus eigentlich sehr

In einem der Klassenzimmer steht eine richtige kleine Apotheke, und Sija kann ihren SchnelIkurs als Krankenschwester täglich anwenden und Wunden nähen. Die Schule ist jetzt überfüllt, und wir müssten dringend zwei weitere Klassenzimmer bauen, aber die Slummenschen besetzen Land, das der Regierung gehört. Wir sehen wohl, dass um die miserable Siedlung herumreiche, neue Häuser gebaut werden, und es ist eine Frage der Zeit, dass, wie in anderen armen Ländern auch, eines Tages Regierungsbulldozer kommen und die Slums platt machen. Die Slumbewohner werden sich verteidigen können, behaupten sie... Tatsache bleibt, dass wir im Moment durch unsere Mädchen mit den 120 Kindern dieser Gemeinschaft und ihren Müttern sehr gute Arbeit leisten und viel dort bewirken. Das verdanken wir auch Ihnen allen und, obwohl uns die Situation in Nepal oft als hoffnungslos erscheint, bekommen wir neuen Mut, um nicht aufzugeben! Ihnen alles Liebe und Gute bis zum nächsten Brief im Dezember, dem wir die Spendenquittung für 2005 beifügen werden.

Ganz herzliche Grüße

Elisabeth Montet