Kinderhilfe Nepal e.V.


Rundbrief Dezember, 2002

Liebe Freunde,

die wenigen Touristen, die dieses Jahr trotz der Warnung der auswärtigen Ämter auf ihre Trekkingtour in Nepal nicht verzichten wollten, mussten sich erst einmal daran gewöhnen, bewaffneten Soldaten und Polizisten an jeder Straßenecke von Kathmandu zu begegnen. Die nepalesische Monarchie hatte seit zwölf Jahren nur noch eine repräsentative Bedeutung. Der neue König hat aber vor sechs Wochen gegen jedes Gesetz das Parlament aufgelöst, eine Regierung mit seinen"Freunden" gebildet und so die Macht an sich gerissen. Alle Zeitungen sind jetzt unter seiner Kontrolle und berichten täglich über Gräueltaten der Maoisten in der Provinz. Augenzeugen, die wir persönlich sprechen konnten, Verwandte unserer Mitarbeiter sowie Menschen aus den Geburtsdörfern unserer Kinder, sprechen ganz anders von den Rebellen.

Die Bevölkerung ist sicher terrorisiert, denn hilft sie den Maoisten, läuft sie Gefahr, von der Armee erschossen zu werden. Allein nur als Maoist verdächtigt zu werden reicht aus, um sein Leben sofort zu verlieren. Der Vater unserer kleinen blindenSabitri, ein sehr armer Bauer, erzählte uns, dass in der vergangenen Woche sechs bewaffnete Rebellen spät abends bei ihm erschienen seien und ihn um Kost und Logis gebeten hätten. Sie benahmen sich gut, meinte er, und als sie am frühen Morgen um eine Spende baten, antwortete der naive Mann, er habe nur 2000 Rupies ( ca. 26 Euro), die er das ganze Jahr gespart habe, um Kleidung für seine blinde Tochter zu kaufen. Die Rebellen bedankten sich bei ihm und ließen ihm sein Geld. Niemals wird von Vergewaltigungen und Gewalttaten an Kindern gesprochen, auch wenn die Zeitungen berichten, dass die Maoisten die Bevölkerung als Schutzschild gegen die Armee benutzen.

Eins bleibt sicher: trotz der vielen Verluste unter den Maoisten und den Soldaten der Regierungsarmee, bleibt die Macht der Rebellen ungebrochen. Sie kontrollieren etwa 40% Nepals und haben dort Parallelregierungen installiert. Im November haben sie zu einem dreitägigen Generalstreik aufgerufen, und es ist ihnen gelungen, das Land für diese Zeit völlig lahm zulegen. Alle Geschäfte blieben geschlossen, und wenn ein Auto fuhr, geschah dies mit verdecktem Kennzeichen aus Angst vor der Rache der Rebellen und vor den Augen machtloser Soldaten und Polizisten. Immer wieder explodieren Bomben in Kathmandu, die das Anwesen korrupter Politiker oder teurer Privatschulen beschädigen. Die Rebellen haben alle Schulen aufgefordert, ihre Gebühren zu senken, damit die Kinder armer Menschen auch Zugang zu einer guten Bildung bekommen, aber trotz Bomben blüht das unverschämte Schulgeschäft weiter.

Die Rebellenführer, die im Untergrund leben und seit kurzem auch von Interpol gesucht werden, erklären, sie seien zu Verhandlungen bereit, aber nicht mir einer "Marionettenregierung", wie sie sie bezeichnen, sondern erst wenn neue Wahlen stattgefunden hätten und die Demokratie wieder eingeführt worden sei. Der König sagt, er würde solchen Gesprächen zustimmen, aber bis jetzt sind es nur leere Worte, und jeden Tag werden 20 bis 50 Maoisten von seiner Armee getötet. Die Verluste auf Seiten der Soldaten werden nicht genau gemeldet, aber es vergeht kein Tag, ohne dass auf den Verbrennungsstätten des heiligen Orts Paschupatinath am Bagmatifluß bei Kathmandu junge tote Soldaten und Polizisten dem Feuer übergeben werden und ihre Bataillone zur Ehre antreten. Ein sehr trauriges Schauspiel in dem einst so friedlichen Ort. Georges W. Bush, der sich rühmt, in allen Ländern der Welt die "Demokratie" zu verteidigen, scheint es in Nepal nicht so genau zu nehmen und hat erst letzte Woche verkündet, dem gegen das Gesetz handelnden König weitere Millione Dollar an Waffen und Todesinstrumenten zu schenken, um die "Terroristen" zu eliminieren. Die Maoisten wehren sich aber vehement gegen diese Bezeichnung und grenzen sich von al-Qaida und anderen terroristischen Gruppen ab.

Währenddessen wälzen sich unsere Kinder im "Glück" des Kinderhauses, ohne sich große Gedanken über die Situation in ihrem Land zu machen, und das Elend der anderen Menschen berührt sie kaum. Wir wareneinst so naiv und hatten geträumt, dass die Unterstützung, die die Kinder von uns allen bekommen, irgendwann auf andere benachteiligte Menschen übertragen würde, aber trotz der vielen Gespräche, die \ ständig mit ihnen fuhren, ignorieren sie das Elend unmittelbar um sich herum.

Sie wollen erst einmal viel Geld verdienen, sagen sie, und dann erst werden sie anderen helfen! Baghat, einer unserer Größten, ist mit seiner College-Ausbildung fertig und ist dabei, die vielen Prüfungen zu bestehen, die ihm erlauben werden, in ein paar Monaten als "Captain" in der nepalesischen Armee zu dienen. Dass er durch diesen Beruf zum potentiellen Mörder oder vielleicht Toten wird, ignoriert er und will nur den hohen Status und den beträchtlichen Lohn sehen, die ihn von Anfang an in dieser Institution erwarten. Er glaubt fest daran, dass er als gebildeter Mensch "nur" in den militärischen Büros von Kathmandu bequem sitzen wird, ohne gegen die Maoisten eingesetzt zu werden. Dafür gäbe es ja die Analphabeten, meint er... Und als wir ihn fragten, was er tun würde, wenn ihm eines Tages befohlen würde, auf einen von uns zu schießen, weil er oder sie als Maoist verdächtigt würde, dann antwortete er ohne zu zögern, dass er sofort schießen würde, denn es sei ja schließlich sein Beruf zu gehorchen, und er könne nicht anders!

Für uns eine gräßliche Vorstellung, aber auch ihm wurde es wohl unheimlich, denn eine ganze Woche lang nach diesem Gespräch, war er mit diesem "kleinen" Gewissensproblem beschäftigt... Immerhin.

Die anderen Kinder studieren zum Glück friedlichere Fächer und kommen gut voran. Im November kam Holm Triesch aus Bremen, der uns seit dem Beginn des Projektes unterstützt, und konnte sich ein Bild vom guten Funktionieren von Children's World machen. Er erzählte den Kindern von seinem Versuch im Namen der Tibet Initiative Deutschland e.V., Tibeter aus dem Gefängnis von Kahmandu freizubekommen. Sie waren nach einer Audienz beim Dalai Lama auf der Heimreise wegen fehlender Papiere von der nepalesichen Polizei vor anderthalb Jahr verhaftet worden und wurden zu 10 Jahren Gefängnis oder 28.000 US $ Geldstrafe verurteilt. Auch da zeigten die Kinder kaum Interesse. Holm hat im Internet eine Seite für die Kinderhilfe Nepal eingerichtet und wir waren mehr als erstaunt, als sich eine junge Deutsche mit hervorragenden Englischkenntnissen aus einem Internet-Cafe in Kathmandu meldete und sich anbot, den Kindern drei Monate lang Unterricht zu geben. Alex hat sieben Jahre in England verbracht und nicht nur die Kinder, sondern auch wir konnten von ihrem perfekten Akzent profitieren!

Raj Kumars Kräfte lassen langsam nach, aber er bekommt die bestmögliche Pflege und bleibt der "Prinz" aller Kinder, die seine Befehle immer liebevoll ausführen.

Dieses Mal hatSaroj Pech gehabt. Er hat sich den rechten Oberschenkel gebrochen und mußte operiert werden. Es macht Freude zu sehen, wieDinesh undShanta, die schon lange das Kinderhaus verlassen haben, ihr Leben meistern. Sie leben nicht im Reichtum, haben aber von Children's World gelernt, was es heißt, in Würde und Sauberkeit zu leben. Dinesh ist "Manager" eines Internet-Cafes und hat nur 4.500 Rupies (ca. 59 Euro) im Monat um seine Familie zu ernähren.Shanta ist Receptionistin und ihr Mann fährt Taxe. Nachdem er sie ein ganzes Jahr allein gelassen hatte, ist er reumütig und verwandelt zu ihr zurückgekehrt. Alkohol und Drogen hätte er aufgegeben, weil er sich zum Christentum bekehrt hat, sagt er. In jeder freien Minute liest er die Bibel und Shanta muß jede Woche zum Gottesdienst gehen, obwohl sie am liebsten an diesenTagen ausschlafen würde, meint sie lachend.

Sie fühlt sich in dieser neuen Religion nicht so gut, sagt sie, weil der Priester ihr androht, dass Ihrem Kind Unheil geschehen wird, wenn sie zusätzlich zu ihrer neuen Religion hinduistische Rituale weiter praktiziert. Sie musste dieses Jahr weinen, weil sie ihrem Bruder den traditionellen Segen als Schwester nicht geben durfte. Wir haben versucht, ihr klar zu machen, dass Gott nicht so kleinlich sein kann und dass sie ein solches Ritual mit Sicherheit weiterhin beibehalten darf, wenn sie sich dabei gut und glücklich fühlt. Aber die Verurteilung der Gemeinde sei sehr streng und schwer zu ertragen, meinte sie. Deshalb geht sie zum Religionsunterricht und wird bald getauft, denn schließlich hätte Jesus ihren Mann geheilt und sie müsse einfach alles aushallen, auch wenn sie bei der Messe oft Langeweile empfindet. Sie bleibt das Kind mit dem "größten" Herzen, das je in Children's World gelebt hat, und teilt mit ihren armen Nachbarn fröhlich alles, was sie hat. Also doch eine Freude für uns alle!

Unsere Mitarbeiter führen ihre Aufgaben für das Projekt mit sehr viel Engagement aus und bilden eine warmherzige Gruppe, die einen reibungslosen Ablauf des Alltags im Kinderhaus erlaubt.Khim wird über jedes Problem informiert, die tägliche Kommunikation mit Deutschland klappt, und die sechzig Menschen von Children's World leben zufrieden und glücklich. Im Vergleich zu den Kindern sind sich unsere erwachsenen Mitarbeiter Ihrer Chance sehr bewußt, in Children's World leben zu dürfen

Mit den Kindern und mit uns bedanken sie sich bei Ihnen allen für Ihre treue und liebevolle Unterstützung und wünschen Ihnen frohe Weihnachten und ein glückliches, gesundes neues Jahr!

Ganz herzliche Grüße

Elisabeth Montet