Kinderhilfe Nepal e.V.


Rundbrief September, 2010

Liebe Freunde,

während der Monsunzeit verweilen die Nepalesen ganz besonders gern in ihrer angeborenen Passivitä.t. Es ist heiß und feucht. Das Wasser der von Fäkalien und Abfällen verseuchten Flüsse vermischt sich mit dem Grundwasser, und viele Menschen werden von Typhus und anderen Krankheiten betroffen. Man lebt langsam und sorglos vor sich hin, man klagt nicht und akzeptiert jeden Tag, wie er kommt. Immer mehr Kinder werden trotz der zahlreichen Familienplanungsprogramme geboren.

Politisch gesehen, geschieht weiterhin nichts. Die zerstrittenen Parteien weigern sich, den Maoisten, die immerhin die größte Partei des Landes bilden, mindestens einen Teil der Macht zu überlassen. Das Volk lassen diese Intrigen und Machtspiele inzwischen völlig kalt. Auch was in der übrigen Welt geschieht, interessiert die Nepalesen nicht; die meisten wissen ohnehin nichts davon. Ganz besonders das Kathmandutal ist für sie die einzige Welt, die überhaupt existiert. Nur das, was sie heute essen werden, beschäftigt die Menschen, und alles andere ist in ihrem Kopf nicht vorhanden. Auch wir brauchen im Sommer doppelt soviel Energie, um 'unsere Hilfsarbeit durchzusetzen. Die neue elektrische Verkabelung mit der Einrichtung von Eisenmasten im Banshigatslum hätte schon im Mai fertig sein sollen. Diese Arbeiten wurden aber erst im Juli durch unsere wiederholten Bitten zu Ende geführt. Dabei geht es doch um die Sicherheit der Kinder und aller Menschen der Siedlung, und Kinderhilfe Nepal zahlt ja die Kosten dafür! Wir können immer wieder feststellen, dass drei Besuche im Jahr in Kathmandu wirklich nicht zuviel sind, um dort eine ernsthafte Arbeit zu leisten.

Unsere Freunde im Slum brauchen unser wiederholtes Drängen und unsere Energie. Die Ideen und die Vorstellung von Verbesserungen in den Slumgemeinschaften verursachen immer eine anfängliche Begeisterung, die jedoch nach kurzer Zeit nachlässt und bald gänzlich verebben würde, wenn Sija, die für die Projekte verantwortlich ist, nicht in Kathmandu anwesend wäre und ständig mit Deutschland in Verbindung sein würde. Sie beklagt sich oft, dass die Slumbewohner nur dann richtig aufwachen, wenn der "weiße" Besuch aus Deutschland wieder einmal angesagt wird, denn sie wollen auf keinen Fall auf unsere Unterstützung verzichten. Durch den in Zukunft regelmäßigen Beitrag einer engagierten Spenderinkonnten wir unser Ernährungsprogramm für Kinder zwischen sechs Monaten und fünf Jahren auf einen neuen Slum ausweiten. Wie in den drei anderen Slumgebieten brachte Djyanti aus Banshigat Debika und Jenika im Slum von Samankhul bei, wie man den wertvollen täglichen Brei zubereitet.

Die an allen nötigen Vitaminen und Mineralien reiche Kost erhalten inzwischen in Kathmandu 600 Kleinkinder von der Kinderhilfe Nepal, und die wenigen alten Menschen, die noch am Leben sind, bekommen auch eine Schüssel davon. Bisher kam Shiva Narayan (s. Photo) jeden Morgen zum Kindergarten von Banshigat, um eine Portion Brei für seine geliebte, seit 20 Jahren völlig gelähmte Frau Bhatta Kumari zu holen. Shiva Narayan pflegte seine Frau, 86, all die Jahre allein und wird von den Slumfrauen besonders geehrt, weil sie einen solchen Liebesbeweis eines Mannes gegenüber seiner Ehefrau noch nie erlebt haben, sagen sie. Bhatta Kumari starb einige Tage nach der Aufnahme dieses Photos, und Shiva Narayan war untröstlich. Sija fährt mit ihrem Verbands- und Medikamentenkoffer jeden Tag von Slum zu Slum und betreut Kinder und Mütter medizinisch. Sie muss meistens eitrige Wunden desinfizieren und sie mit Antibiotika behandeln. Wir haben eine Versammlung mit den Müttern organisiert, um allen klar zu machen, wie wichtig es ist, eine klaffende Wunde in den ersten Stunden nach einem Unfall zu nähen. Und wir haben die Gemeinschaft gebeten, sich im Notfall solidarisch zu zeigen und sofort Geld zu sammeln, damit der Verletzte zum Arzt gebracht wird, wenn Sija nicht in der Nähe ist und die Wunde nicht selbst nähen kann. Kosten für diese medizinischen Eingriffe werden dann von uns an diejenigen zurückerstattet, die das Geld vorgelegt haben.

Die in der Monsunzeit besonders übel riechenden Slums haben uns auch dazu gebracht, die Kinder und ihre Eltern auf die gesundheitlichen Gefahren hinzuweisen, die eine von Abfällen und Exkrementen gefüllte Siedlung mit sich bringt. Zuerst wollten wir den gesammelten Abfall sortieren und abholen lassen. Dies hätte aber Geld gekostet und kam für die Leute nicht in Frage. Es gab heftige Diskussionen mit den Frauen, die nicht verstehen wollten, warum sie den Abfall nicht in den Fluss entsorgen durften, wenn ganz Kathmandu es ohnehin tut. Sie waren wenigstens bereit, die Siedlung zu reinigen. Wir mussten einsehen, dass wir ganz klein anfangen sollten. Die nepalesischen Flussufer sind tatsächlich die einzigen Mülldeponien des Landes, und, wenn wir es schaffen, dass "unsere" Slums wenigstens gesäubert werden, ist es schon ein enormer Fortschritt. Danach werden wir ja sehen, wie es weitergehen kann. Wir haben Handschuhe, Masken, Eimer, Besen, Schaufeln, Desinfektionsmittel etc... gekauft, und jeden Samstag wird der Slum von Banshigat unter der Leitung von Bina, der Frauenkomiteeleiterin, gereinigt. Sie selbst verkündete, dass in Zukunft kein Abfall auf die Wege des Slums geworfen werden dürfte, sondern dahin gebracht werden sollte, wohin er gehört: in den Fluss! Ein Lernprozess hat trotzdem begonnen, und Bina erklärte scherzend, dass die Siedlung "spätestens" beim nächsten Besuch aus Deutschland ganz bestimmt frei von jedem Abfall sein würde!

Es ist oft nicht möglich, unsere westlichen Wertvorstellungen in einem Land wie Nepal durchzusetzen. Es ist manchmal sehr frustrierend, aber bei unserer Arbeit dürfen wir nicht vergessen, dass auch bei uns trotz besseren Wissens noch vieles im Argen liegt...

Ihnen allen, die unsere Arbeit in Nepal möglich machen, herzlichen Dank und alles Gute bis Dezember mit Neuigkeiten aus Kathmandu und Ihren Spendenquittungen!

Herzliche Grüße

Elisabeth Montet