Liebe Freunde,
wenn der Monsun auf sich warten lässt, ist ein Aufenthalt in Kathmandu für einen Europäer anstrengend. Die unerträgliche schwüle Hitze zwingt einen, in Zeitlupe zu leben, und die schon passiven Nepalesen sind dann wie gelähmt, was den Einsatz für das Projekt nicht gerade erleichtert. Trotzdem haben wir es alle zusammen wieder einmal geschafft, das Beste aus dieser Zeit zu machen, und unsere Arbeit vorangebracht. Trotz täglicher Kämpfe zwischen Armee und Maoisten besänftigt sich die politische Lage etwas. Der König, der sich fürchtet, seinen Thron zu verlieren, hat den Premierminister zurückgerufen, der im Herbst 2002 im Amt war, als das Parlarnent aufgelöst wurde.
Bahadur Deuba versucht mit einem Multiparteien-Kabinett, das Land zu regieren, und man hört wieder von möglichen Friedensverhandlungen mit den Rebellen, die nur damit einverstanden wären, wenn sie unter der Aufsicht der UNO stattfänden. Dem König gefällt der Vorschlag nicht, weil er Amerika und Indien als seine Hauptverbündeten sieht. So kurz ein solcher Waffenstillstand wahrscheinlich wäre, würde er doch das Land aufatmen lassen, das vom Zivilkrieg verwüstet wird. Die Rebellen entführen die Bevölkerung ganzer Dörfer und lassen sie nach einem mehrtägigen "Indoktrinierungsseminar" wieder frei. Gebildete Jugendliche werden zwangsweise eingezogen, und es traut sich kein junger Mensch mehr in die besetzten Gebiete.
Folter und Grausamkeiten auf beiden Seiten lassen die Organisationen für Menschenrechte und Amnesty International laut protestieren. Ein Drittel der Leute, die im Gefängnis sitzen, wissen nicht einmal, warum sie verhaftet wurden. Die Maoisten machen Druck auf die geldgierigen privaten Schulen und Colleges, die wie Pilze aus dem Boden schießen, und haben sie im letzten Juni gezwungen, für drei Wochen landesweit zu schließen, damit sie ihre Gebühren senken. Wenn man die Generalstreiks und die Ausgangssperren mitrechnet, dann sind die Kinder die meiste Zeit des Jahres zu Hause. Das Bildungsniveau, das in Nepal ohnehin nicht gerade hoch ist, sinkt immer mehr, und kaum einer weiß, was aus den Millionen harter Währung wird, die ständig vom Ausland für das Bildungswesen an das Land gespendet werden. Gerade jetzt hat die Weltbank wieder einmal 50 Millionen US $ nur für diesen Zweck freigemacht, aber eine Verbesserung in diesem Bereich ist nirgends zu sehen: die Schulen werden immer teurer, für die Armen unbezahlbar, und die Lehrer können mit ihrem lächerlichen Lohn nicht einmal eine Familie gründen.
In Nepal haben die Menschen nur noch eines im Kopf ins Ausland zu gehen, um dort zu studieren und Geld zu verdienen. Gegen Unsummen schicken Vermittlungsagenturen Studenten aus wohlhabenderen Familien nach England, Singapur oder in die USA. Täglich fliegen mehrere mit Billigarbeitskräften überfüllte Flugzeuge in die Arabischen Emirate oder nach Malaysia. Irak und Israel sind im Moment besonders begehrt, da dort die Löhne höher sind als in den Golfstaaten. Da die Palestinenser jetzt durch die Mauer daran gehindert werden, in Israel zu arbeiten, sind die Nepalesen äußerst willkommen, die nur allzu gern in Altenheimen oder auf Obstplantagen 500 US$ im Monat verdienen wollen. In den arabischen Ländern liegt der monatliche Lohn nur bei 2000 US $. Der große Hit ist jedoch als Sicherheitskraft bei den amerikanischen Unternehmen im Irak zu arbeiten. Dort gibt's 1.500 US $ im Monat, und für den Job werden ehemalige Soldaten und Polizisten bevorzugt.
Die nepalesische Regierung, die bis jetzt diese Auswanderung verboten hatte, ist dabei, sie zu legalisieren, da mehr als 15.000 Nepalesen schon über Kuwait in den Irak eingeschleust wurden. Außerdem gibt es in Nepal ohnehin keinen Tourismus mehr und diese Arbeiter im Ausland bedeuten für die Regierung die einzige Deviseneinnahmequelle des Landes.
Um die 6000 Euro Vermittlung an diese unverschämten Agenturen bezahlen zu können, verkaufen viele Nepalesen das bißchen Land, das sie besitzen und leihen sich Geld von "Freunden", die später mit Freude die verzinsten Summen kassieren. Erst nach 2-3 Jahren "Exil" fangen die Männer an, etwas Geld zu sparen.
Auch in Children's World träumen manche vom "wunderschönen Leben" im Ausland, aber wir können uns diese Vermittlungsgebühren und die hohen Universitätskosten nicht leisten. Also studieren sie im eigenen Land und kommen auch auf diese Weise voran. Wer trotz unserer vehementen Ratschläge stur nach dem Abitur den falschen Fach belegt hat und dann im College sitzen bleibt, muss das für ihn ausgegebene Geld an Children's World zurückzahlen. Drei wollten unbedingt die wissenschaftliche Laufbahn einschlagen und sind gescheitert. Ihr Beispiel lehrt nun die anderen, vorsichtig zu sein, denn alle verstehen endlich, dass es besser ist, der eigenen Begabung gemäß sein Studium auszuwählen, als nach unrealistischen Träumen zu jagen. Bikram, der als erster diesen Fehler gemacht hatte, hat drei Jahre gebraucht, um seine Schulden zu begleichen und wird ab 1. Oktober ein Jahr als Volontär in einem 5-Sterne Hotel in Frankreich verbringen.
Die größte Sorge der letzten Monaten galt dem Wasser. Die Krankenhäuser von Kathmandu sind immer noch von Menschen überfüllt, die an Typhus und anderen gefährlichen Krankheiten leiden. Das Grundwasser des Tales ist von Arsen und Kolibakterien verseucht, und nachdem 13 von unseren Kindern ernsthaft an Typhus erkrankten, haben wir hinter unserem Haus eine kleine "Chemieanlage" einrichten lassen, die das Wasser fürs Waschen und Baden brauchbar macht, während ein modernes Gerät in der Küche 80 Liter pro Stunde Trinkwasser produziert. Es war schwierig, sich für das richtige System zu entscheiden, aber "die Situation macht den Chemiker" und wir hoffen, dass die Summe von 5000 Euro, die wir dafür ausgegeben haben, ein für alle mal das Problem gelöst hat.
In den Slums sind die Menschen gegen diese Krankheiten immuner, weil sie schon seit ihrer Geburt mit diesem verseuchten Wasser leben, und wer dort nicht stark genug ist, stirbt. Sija, Maya und Samjhana, leisten eine großartige Arbeit in der Slumschule.Wir haben zusammen mit den Jugendlichen des Slums die Schule gestrichen und das Blechdach gegen Hitze und Kälte isoliert. Dieser gemeinsame Einsatz war ein wichtiger Austausch zwischen den Slumjugendlichen und unseren "Großen", die ihnen von ihrer eigenen elenden Herkunft erzählten. Alle zusammen haben sie mit Freude gearbeitet, gelacht und nepalesische Poplieder gesungen! Die Kanalisationsarbeiten sind von uns fertiggestellt worden, aber die Slumbewohner haben ihr Versprechen nicht gehalten, die ganze Fläche mit Erde zu bedecken. In einer freundlichen Versammlung erzählten sie, dass sie dazu das Geld nicht hätten und dass sie es später machen würden... Wir haben sie trotzdem energisch daran erinnert, dass es ihre Aufgabe bleibt und dass sie nicht nur nehmen, sondern für ihre Gemeinschaft von 3000 Menschen auch selbst etwas tun sollten. Wir lassen die Baustelle erst mal stehen, so wie sie ist und haben unsere Kinderhilfe fortgeführt, indem wir Toiletten mit einer Dusche für die Schule gebaut.
Unserem Baby Nelson, geht es blendend und er gedeiht in den Armen von 60 Müttern und Vätern, während die eigene Mutter wieder zu Hause lebt, wo sie von der Familie wiederaufgenommen wurde, als wäre sie von einem Studium in Indien zurückgekehrt. Da durch die Adoption des Babys uneinschätzbare Schwierigkeiten auf uns zukämen, haben wir beschlossen, Nelson im Kinderhaus zu behalten. In Nepal - wie in anderen Ländern auch - sind Adoptionen zu oft ein Riesengeschäft, das meistens mit Korruption verbunden ist. Es ist sehr riskant, sich öffentlich dagegen zu wehren, und wir möchten nicht die Zukunft unseres Projektes durch illegale Vorgehensweisen gefährden.
Die blinde Goma ist endgültig aus Indien zurückgekehrt und wird mit Shree Krishna zusammen im selben College weiter studieren. Man kann sagen, daß es allen in Children's World wirklich gut geht und wir können uns besonders darüber freuen, weil wir merken, dass unsere "Großen" sich jetzt auch für die Ärmsten ihres Landes engagieren.
Durch Ihre Unterstützung leben etwa 150 junge Nepalesen jetzt in Würde, unsere, aber auch die Kinder des Slums.
Herzlichen Dank an Sie alle in ihrem Namen und alles Gute und Liebe bis zum nächsten Infobrief im Dezember.
Elisabeth Montet