Kinderhilfe Nepal e.V.


Rundbrief September, 2000

Liebe Freunde,

die politische und soziale Situation in Nepal verändert sich kaum. Die wenigen Reichen werden immer reicher und die Masse der Armen wird immer ärmer. Die tödlichen Übergriffe zwischen Maoisten und Polizisten gehen weiter, werden aber jetzt von den Medien sorgfältig heruntergespielt. Die Maoisten töten zwar und versuchen nach und nach die wenigen Fabriken des Landes zu zerstören, aber deren Anführer wird als eine Art „Robinhood“ insgeheim verehrt. Sogar der Mittelstand, von der allgemeinen Korruption in den regierenden Kreisen angeekelt, versteckt nicht mehr seine Sympathie für die "Ideen" dieser Untergrundsbewegung.

Da die Miete des Kinderhauses zu teuer geworden war, haben wir ein anderes Haus gemietet und die sechzig Menschen von Children´s World sind in einem unglaublichen Chaos umgezogen! Die Nepalesen haben keinen Sinn für Logik und Organisation und bei einem Vorgang, der zu tun ist, fangen sie am Liebsten mit dem Ende an. Zum Beispiel, alle Möbel in ein Zimmer hinstellen und dann erst merken, dass eigentlich ein Bodenbelag hineingehört. Oder die Küche einrichten und dann feststellen, dass man sie doch vorher renovieren wollte... Der Unterschied der Mentalität zwischen Ost und West ist wieder mal so krass zum Vorschein gekommen, dass wir alle, oft am Rande des Wahnsinns, uns entschlossen haben, lieber darüber zu lachen! Trotz allem hat alles gut geklappt und die restlichen Feinarbeiten werden jetzt langsam erledigt.

Phurba hat sich plötzlich nicht mehr in der Lage gefühlt mit so vielen Kindern zu leben und ist vor drei Monaten gegangen. Ersetzt wurde sie durchNamrata Thapa, die sich bis jetzt sehr für ihre Aufgabe einsetzt und Khim wirksam unterstützt. Wir hoffen, dass sie lange bleiben wird, weil die Kinder endlich wieder Stabilität in der Führung des Hauses brauchen.

Ram Pukhar, Baghat und Renu haben ihr Abitur bestanden. Ram Pukhar möchte gern Umweltingenieur werden, aber wir versuchen ihn anders zu orientieren, weil er von einem entsetzlichen Stottern befallen ist, das leider in Nepal nicht behandelt werden kann. Renu will Krankenschwester werden und Baghat will später zur Polizei.

Raj Kumar widersteht tapfer seiner Krankheit, aber er hat Schmerzen, kann nie länger als zehn Minuten in der gleichen Stellung sitzen und muß ständig umgedreht werden. Weil es auch dann so weh tut, will er oft ins Bett und gleich wieder in den Rollstuhl. Meghraj ist sozusagen sein zweites ich und erledigt alles, was er nicht kann mit einer bewundernswerten Geduld. Manchmal fängt Raj Kumar an, alle um ihn herum zu beschimpfen und zu schreien, dass man ihn töten sollte. Aber meistens akzeptiert er seine Situation mit Würde und ist den Kindern dankbar, die ihm bei jeder Kleinigkeit liebevoll helfen.

Shanta, die vor drei Jahren das Kinderhaus verlassen hatte, um der "großen Liebe ihres Lebens" zu folgen, hat jetzt ein nettes Baby, aber die Schläge, die sie regelmäßig von ihrem alkoholsüchtigen Mann bekommt sowie das miserable Leben in einer Hütte ohne Wasser und Toilette, lassen sie bitter bereuen, dass sie damals ging. Sie ist durch diese Erfahrung erwachsen geworden und bleibt unsere grundehrliche und herzensgute Shanta. Trotz der elenden Umstände, in denen sie lebt, hat sie ein kleines bettelndes Mädchen von der Straße genommen und zur Schule geschickt, so lange sie deren Schulgebühren bezahlen konnte. Jetzt ist ihr Mann nach Indien verschwunden und sie kann kaum überleben.

Wir haben die kleineRina zu uns genommen und Shanta einfach wieder eingeschult. Eine Nachbarin kümmert sich tagsüber gegen etwas Essen um ihr Baby. Shanta würde ihren Mann sofort verlassen, aber er hat schon gedroht, dass er sie töten würde. Solche Drohungen sind in Nepal ernst zu nehmen, denn ein solches Mord ist nicht selten und da niemand offiziell registriert ist, wird nach solchen Männern nicht einmal gesucht. Sie tauchen einfach in anderen Teilen des Landes unter und die Sache ist erledigt. Wir unterstützen Shanta mit den notwendigen Grundnahrungsmitteln und es gelingt uns bis jetzt, sie zu überzeugen, dass die Schule ihre einzige Hoffnung bleibt. Natürlich darf in der Schule keiner wissen, dass sie ein Baby hat. Sie lernt fleißig und ist immerhin schon die "Dritte" ihrer Klasse geworden.

Unsere blinde Goma ist aus Neu-Delhi für die Sommerferien heimgekommen. Sie bleibt die Klügste aller Kinder und entwickelt sich zu einer äußerst selbstsicheren kleinen Person.

Bikram hat seine zwei Jahre College hinter sich gebracht und wollte Elektroingenieur werden. Plötzlich hat er seine Meinung geändert und hat sich für drei Jahre in einem Fünf-Sterne-Hotel in Dubai als "Mann für alles" anheuern lassen. Wir haben versucht, ihm davon abzuraten, aber die Aussicht, 300 DM im Monat zu verdienen ist stärker gewesen als sein Wunsch zu studieren. Da er uns innerhalb der nächsten zwei Monate verlassen wird, bedeutet es für uns eine Verantwortung weniger.

AuchChandra, unser Chauffeur, hat uns verlassen, um in Saudi-Arabien für drei Jahre LKW´s zu fahren und Geld zu verdienen. Die Golfstaaten holen massenweise Nepalesen und Männer aus Bangladesch als billige Arbeitskräfte. Diese modernen freiwilligen Sklaven nehmen alles in Kauf, um ein bißchen Geld nach ein paar Jahren nach Hause zu bringen.

Sein Ersatz, Shankhelal, ist ein lieber Kerl aber das Auto ist schon am ersten Tag von seiner Fahrweise gezeichnet worden... Die meisten Fahrer des Kathmandutales sind ziemlich brutal in ihrem Verhalten und einen netten guten Fahrer zu finden ist sehr schwierig.

Shree Krishna´s exzellente Leistungen in der Schule und sein unglaublicher Ehrgeiz haben uns überzeugt, ihn nach Indien zu schicken, wo er ein besseres Schulniveau erreichen kann und später auch bessere Chancen zu einem Studium von Qualität haben wird.

Unsere Köchin Anita ist hochschwanger von ihrem Mann verlassen worden. Sie hat sich mit Laxmi und Sita, zwei anderen Angestellten des Projektes, ein Zimmer gemietet, lebt aber tagsüber im Kinderhaus.

Santosh ist reumütig nach sechs Monaten Straßenleben zurückgekommen und hat eine Lehre als Schreiner angefangen. Seine Erzählungen über seine Erfahrungen auf der Straße sind für uns haarsträubend und für alle Kinder ein abschreckendes Beispiel!

Jetzt sind die großen Kinder fürNamrataundKhim eine große Hilfe, um das Kinderhaus zu führen. Sie können schon manche Aufgaben übernehmen und auf die Kleineren sehr gut aufpassen. Unser Besuch in Kathmandu war also dieses Mal für uns ermunternd und hat Spaß gemacht. Mit allen Kindern und Erwachsenen von "Children´s World" bedanken wir uns bei Ihnen für Ihre Unterstützung und melden uns wieder zum Ende des Jahres.

Mit ganz herzlichen Grüssen,

Elisabeth Montet - Uwe Pohlig