Kinderhilfe Nepal e.V.


Rundbrief Mai, 2020

Liebe Freunde,

noch drei Wochen, nachdem die Coronavirus-Krise in Europa ausbrach, behaupteten die Nepalesen, sie seien ein starkes Volk und würden sich nicht anstecken. Sie meinten, es würde hauptsächlich daran liegen, dass sie sich zur Begrüßung nur ein distanziertes "Namaste" wünschen, während wir Europäer uns ständig umarmen und küssen. Das Kathmandutal ist trotzdem ein Paradies für Infektionskrankheiten, weil zu viele Menschen in überfüllten Räumen oder Plastikhütten in Slums leben. Nicht nur die unmittelbare Nähe zu China, sondern auch die vielen Geschäftsbeziehungen zwischen den zwei Nachbarn sprechen dafür, dass das Virus eigentlich schon im Januar im Lande gewesen sein muss.

Erst Mitte März, als die meisten Länder dafür sorgten, dass ihre Bevölkerung zuhause bleiben sollte, geriet die nepalesische Regierung in Panik und fing an, so gut es ging, sich auf die Pandemie vorzubereiten. Die im Lande noch anwesenden Ausländer beeilten sich, einen Flug nach Hause zu bekommen, um nicht in Nepal gefangen zu sein. Von heute auf Morgen wurden die Nepalesen unter Quarantäne Gestellt, und seither sorgen Armee und Polizei oft mit Gewalt dafür, dass die Menschen nicht aus ihrem Haus gehen. Die Familien, die es geschafft hatten, Geld zu sparen, dürfen morgens von 5 bis 9 Uhr einkaufen gehen, wenn die Lebensmittelläden offen sind. Nach 10 Tagen Shutdown hatten aber die Tagelöhner schon kein Geld mehr, um ihre Familie zu ernähren, und seitdem machen sich Hunderttausende von ihnen zu Fuß auf den Weg zu ihrem weit entfernten Ursprungsdorf und dürften dafür sorgen, dass das Virus sich überall im Lande verbreitet.

In Kathmandu verteilt die Regierung unregelmäßig Reis und Linsen an die Armen, aber es reicht nicht für alle. Heute, sieben Wochen nach dem Anfang des Lockdowns, wundert sich sogar die WHO, dass nur 59 infizierte Menschen in Nepal offiziell registriert wurden, und dass keiner gestorben ist. Die Presse in Nepal ist nicht so frei, dass man die richtigen Zahlen erfahren würde, meinen manche Intellektuelle. Das schwache Gesundheitssystem des Landes ist ohnehin unfähig, eine Coronakrise wie in Europa zu bewältigen. In Kathmandu gibt es nur eine geringe Zahl von Beatmungsmaschinen, und die wichtigste Maßnahme, das Virus fern zu halten, das Händewaschen, ist für die 1,5 Millionen Menschen der Hauptstadt nicht wirklich möglich, weil wenige über fließendes Wasser verfügen. Nur auf dem Dach der Wohlhabenden steht ein Wassertank, der mit Lastwagen regelmäßig gefüllt wird. Die Mehrheit der Menschen muss mit Eimern Wasser holen und lagert es zu Hause. Deshalb ist es schwierig, den Leuten aus den Slums beizubringen, wie man sich die Hände richtig wäscht: Dafür sind sie auf das schon verseuchte Grundwasser angewiesen; das kostbare Trinkwasser, das wir ihnen zweimal in der Woche liefern lassen, wollen sie natürlich dazu nicht benutzen.

Der Thapathali Slum ist hart von dieser Notsituation betroffen. Die meisten Menschen, die hier leben, Frauen und Männer, sind als Schwerarbeiter auf Baustellen tätig und haben zum Leben nur das, was sie am Tag verdienen. Da das Leben des Landes zurzeit still steht, können sie ihre /Familie nicht mehr ernähren. Die Missionare der koreanischen evangelistischen Kirche, die im Slum tätig sind, schicken Geld aus Seoul, um Reis und Bohnen zu kaufen. Muna und Sushma konnten einen Ausweis von der Regierung bekommen, und, da es keine Transportmöglichkeit gibt, gelangen sie mit alten Fahrrädern zu den Slums, in denen wir Hilfe leisten, und sie kümmern sich um die Bedürftigsten.

Die Bewohner vom kleineren Banshiqatslum werden bevorzugt von der Regierung behandelt: Die Verantwortlichen der Siedlung, auch wenn sie auch arm sind, gehören zu den zwei "oberen" Kasten und ethnischen Gruppen des Landes und haben deshalb Beziehungen bei den Behörden. Obwohl der Mangel an Wasser auch hier herrscht, leisten unsere beiden Mädchen ständige Aufklärungsarbeit und zeigen den Bewohnern, wie sie sich vor dem Virus schützen sollten. Der Kindergarten und die Alphabetisierungsklasse sind geschlossen, aber alle Kinder kommen täglich, um unseren nahrhaften Milchbrei zu sich zu nehmen.

Im Dorf Mudhku, in dem wir nach dem Erdbeben von 2015 zwanzig erdbebensichere Häuser gebaut hatten, haben die Menschen es besser als die Bewohner Kathmandus, weil sie Gärten und Felder bebauen können und immer über einen Vorrat an trockenen Bohnen, Reis und Mais verfügen.

Die Menschen im Maute Zeltlager brauchen unsere Hilfe wie noch nie zuvor: Wie die Leute der anderen Slums lernen auch sie von Muna und Sushma, wie man mit dem Risiko einer Covid-19 Infektion umgehen sollte, aber sie leben seit ihrer Geburt in einer solchen unhygienischen Umgebung, dass ihr Immunsystem sehr stark ist und sie wahrscheinlich weniger Chancen als andere Menschen haben, sich anzustecken. Ihr größtes Problem bei dem Shutdown ist der Nahrungsmangel. Ohne Kinderhilfe Nepal wären sie schon am Verhungern, weil sie sich sonst nur von dem ernähren, was sie tagsüber durch Betteln oder den Verkauf von ihren selbst gemischten "Wunderarzneien" ergattern.

Sie, die sonst immer fröhlich sind, wurden nach den 5 Jahren, in denen wir sie jetzt unterstützen, zum ersten Mal sentimental und zeigten uns Gefühle: "Wir, die in Nepal und Indien von überall weggejagt werden", sagten sie, "bekommen schon so lange von weißen Menschen Unterstützung, und dabei kennen sie uns nicht einmal! Am Anfang hätten wir nie geglaubt, dass sie so treu sein würden. Und dass sie uns in einer solchen schwierigen Situation auch noch mit Essen versorgen, ist wirklich unglaublich! Wenn wir ihnen nur irgendetwas zurückgeben könnten!" Die Frauen sprechen von ihrem größten Traum: Ein kleines Haus mieten zu können. Sie träumen davon, dass ihre Kinder, die dank Kinderhilfe Nepal in die Schule gehen können, irgendwann in der Lage sein werden, Geld zu verdienen, und dass sie dann in einem der Slums von Kathmandu wohnen werden. Für sie wäre es ein enormer sozialer Aufstieg. Aber heute werden Menschen ihrer ethnischen Gruppe leider in allen Slumgemeinschaften Kathmandus strikt abgelehnt.

Ende April wurde die Aufhebung des Lockdowns für Mitte Mai angekündigt, und ein großes Problem bahnt sich schon an: 15% der nepalesischen Bevölkerung ist im Ausland tätig. Heute sind die meisten arbeitslos geworden, und hausen seit Wochen ganz besonders in den Golfstaaten zu mehreren in engen, überfüllten Räumen, oft ohne Geld, um sich zu essen zu kaufen. Sie alle haben ein einziges Ziel: Nach Hause fliegen, und die Regierung hat Angst, dass das Virus dann in größerem Maße ins Land importiert wird. Die Presse berichtet, dass 2400 Nepalesen in fernen Ländern an dem Virus erkrankt sind und dass 49 von ihnen gestorben sind.

Die vom Covid-19 weltweit verursachte Depression ist schon für uns hier nicht einfach, aber wir können uns kaum vorstellen, wie es ist, über nicht genügend Wasser zu verfügen, um sich die Hände zu waschen, und auch nicht, dass die wenigsten Nepalesen sich erlauben können, medizinische Hilfe zu holen. Keiner ist hier krankenversichert. Wir können nur wünschen, dass das Virus sich in Nepal nicht so stark wie in Europa verbreitet, weil viele Menschen dann zu einem grausamen Erstickungstod zu Hause verurteilt wären. Es ist auf alle Fälle schon davon auszugehen, dass das Land, dessen Haupteinnahmequelle der Tourismus ist, durch diese Katastrophe brutal in die Armut zurückgeworfen wird.

Mit den besten Wünschen: Bleiben Sie gesund!

Elisabeth Montet