Kinderhilfe Nepal e.V.


Rundbrief Mai, 2006

Liebe Freunde,

im letzten April schickte der Despot Nepals, König Gyanendra, seine bewaffnete Armee und Polizei gegen sein grollendes Volk aus. Nach blutigen Straßenkämpfen, die Tote und viele Verletzte zurückließen, - unter anderem Hunderte von Kindern - musste der Diktator letztendlich auf Druck der aufgewühlten Massen die Macht an die Allianz der verschiedenen Parteien des Landes zurückgeben. Das Parlament, das er vor 4 Jahren aufgelöst hatte, ist jetzt wieder zusammengekommen. Die neue Regierung heißt jetzt nicht mehr "Regierung Seiner Majestät", sondern "Regierung Nepals".Sie wird in Zukunft über das Budget des Monarchen entscheiden, der wie jeder andere Bürger auch Steuern bezahlen wird. Die Friedensverhandlungen mit den maoistischen Rebellen haben jetzt Priorität. Dazu haben die Kämpfer in einen dreimonatigen Waffenstillstand eingewilligt und verlangen dabei die Hilfe der UN, aber ausländische Mächte wie Indien und die USA ziehen weiter ihre Fäden "unter dem Tisch" und, laut den nepalesischen Intellektuellen, fördern sie die Zersplitterung der noch vor kurzem vereinten politischen Kräfte des Landes. Einzig die Hauptstadt Kathmandu konnte am Ende der Revolte noch Armee und Polizei beschützen. Der Despot hatte in seinem Palast genug Proviant, um eine lange Belagerung durchzustehen.

Für das Volk dagegen wurde es schwer zu überleben: Es gab u.a. kein Benzin, kein Gas, kein Salz mehr, und schließlich fing es an, an allem zu fehlen. Da der König von Nepal seit uralten Zeiten als die Reinkarnation des Gottes Vishnu betrachtet wird, (Vishnu - der Schöpfer im Gegensatz zu Shiva - der Zerstörer), ist diese Revolution ein entscheidender Einschnitt in das kulturelle und religiöse Erbe des Landes. Die Situation bleibt unsicher, aber es herrscht erst einmal Optimismus, auch wenn einem großen Teil der Bevölkerung die Reformen der Regierung zu langsam vorangehen. Es gibt immer noch täglich Straßendemonstrationen, bei denen die Menschen weiterhin die jetzt in Nepal berühmt gewordene Parole schreien:"Gyanendra, Bandit, geh aus unserem Land!" Also besteht weiterhin Chaos, aber mindestens fließt kein Blut mehr, und das nepalesische Volk hat durch diese Ereignisse an Selbstvertrauen gewonnen. Unsere Arbeit in Kathmandu geht weiter.

Wir hatten die 50 Menschen von Children's World rechtzeitig mit 3 Monaten Vorräten versorgt, weil niemand wusste, wie lange die Belagerung der Stadt dauern würde. Als wir den Müttern im Slum sagten, sie sollten für ihre Familie das Gleiche tun, schämten wir uns sofort über unseren peinlichen Vorschlag, denn natürlich antworteten sie :"Das können wir nicht, wir haben, wenn überhaupt, nur genug Geld, um heute zu essen.!"...Wir konnten die Ernährung für 3000 Menschen nicht übernehmen, also haben wir drei Monate Vorräte für die Kinder der Slumsiedlung organisiert. Wir haben mehr Personal eingestellt, darunter drei, die im Slum leben. Purna, der sein College beendet hat, ist froh über diese Gelegenheit, für seine Leute etwas zu tun und gleichzeitig Geld zu verdienen. Er ist ein äußerst netter und einfühlsamer junger Mann, der Sija, der Leiterin des Projektes, ehrenamtlich schon oft zur Seite stand. Es gibt nicht viele Jugendliche im Slum, deren Eltern schwer gearbeitet haben, um sie in die Schule zu schicken, und wir wollen beide Seiten so weit wie möglich unbedingt in unsere Arbeit einbeziehen, damit unter den Menschen der Siedlung ein bisschen Selbstachtung entsteht.

Der Ort ist nach wie vor sehr arm, aber sauber. Über den Abwasserrohren, die wir gelegt haben, ist ein Spielplatz entstanden, die die Slummenschen selbst mit Pflanzen und Bambus verschönert haben. Die Frauen haben es besonders schwer und wir haben ihr "Verteidigungskommando", das nach wie vor zwischen 19 Uhr und l Uhr nachts regelmäßig patrouilliert, mit Regenmänteln für die Regenzeit ausgerüstet. Seitdem die Frauen ihre Mitschwestern in dieser Weise beschützen, ist die Gewalttätigkeit der Männer drastisch gesunken. Wir wären bereit, für manche junge Alkoholiker eine Entziehungskur zu bezahlen (15.000 Rupien = ca. 170 Euro) aber keiner von ihnen ist bereit, 3 Monate in eine geschlossene Anstalt zu gehen, wo die Süchtigen zu sportlichen Aktivitäten gezwungen und von der Polizei bewacht werden. Ein Entkommen gibt es dann nicht...

Sija kontrolliert das Projekt und arbeitet jetzt mehr als Sozialarbeiterin, weil sie ständig mit den Problemen des Slums konfrontiert wird. Sie kennt jede Hütte, und alle Frauen vertrauen ihr. Jeden Tag tauchen neue Schwierigkeiten auf, mit denen sie fertig werden muß. Jetzt arbeiten wir zwischen Kathmandu und Frankfurt noch enger zusammen, da das Internet-Telefon uns kostenlos verbindet, und wir stundenlang darüber reden können, welche Maßnahmen in den Slums getroffen werden sollen oder auch darüber, was in Children's World passiert, das Deepak mit Erfolg im neuen erdbebensicheren Haus leitet. Sija wohnt mit 12 anderen "Großen" in einer Wohngemeinschaft in der Stadt, aber alle treffen sich jeden Samstag um 11 Uhr zur Hauptversammlung, in der Probleme diskutiert werden und das heiß begehrte Geld sparsam verteilt wird.

Mit großer Traurigkeit erfüllt uns der Zustand unseres an Leukämie erkrankten Pramods, der kaum Chancen hat, seine Krankheit zu überleben. Die Chemotherapie-Zyklen schwächen sein Immunsystem so sehr, dass er jedes Mal neue gefährliche Infektionen bekommt und nur noch aus Haut und Knochen besteht. Raj Kumar, der an Muskeldystrophie leidet, ist völlig gelähmt und bekommt neuerdings immer wieder Lungenentzündungen, von der eine in Zukunft ihm sicher den Tod bringen wird. Beide Jungen liegen uns sehr am Herzen.

Vielen, vielen Dank an alle, die für den Zellseparator gespendet haben. Natürlich sind die 8000 Euro, die bis jetzt eingegangen sind, noch lange nicht genug, aber wir werden andere Wege gehen und geben nicht auf, denn dieses Gerät ist von sehr großer Wichtigkeit für Nepal. Pramods Arzt, Dr. Sudip, der einzige Cancerologe des Landes, bietet uns an, einen Vertrag zu machen, der bestimmen soll, wo das Gerät stehen wird, wer es warten und bedienen wird. Er schlägt sogar vor, dass eins oder zwei unserer großen Kinder dazu angelernt werden, damit wir die Kontrolle über das Gerät behalten.

Außerdem soll im Vertrag stehen, dass nur die Reichen für die Blutplättchen bezahlen, und die Armen dagegen kostenlos versorgt werden. Das nepalesische Rote Kreuz betreibt eigentlich die Blutbank von Kathmandu, und die große Anzahl von brandneuen klimatisierten Autos, die mit dem berühmten roten Zeichen durch die Stadt fahren, gibt uns keinen Grund, dieser Organisation zu vertrauen: Für einen einzigen solchen Wagen könnte man einen Zellseparator erwerben, aber, wie sehr oft in den Ländern der dritten Welt, fließt das ausländische Geld in die Taschen von Menschen, die, falls ihr Kind an Leukämie er-kranken sollte, es problemlos nach Europa oder in die USA schicken könnten. Die Armen dagegen haben keine Chancen, weil es in Nepal keine Krankenversicherung gibt. Sie sterben sowieso ohne jede Behandlung.

In Children's World geht es sonst vorwärts. Es wird gelernt und studiert. Nelson, inzwischen 2 Jahre alt, ist recht aufgeweckt und geht in den Montessori-Kindergarten Kathmandus. Unsere Mitarbeiter werden nicht jünger und unsere Köchin Mai leidet an einem schweren Diabetes. Diese Krankheit betrifft die Nepalesen in höherem Maße, weil sie seit frühester Kindheit, die meistens sehr arm war, daran gewöhnt sind, Berge von Reis ohne jede Beilage zu essen. Auch im Kinderhaus, in der eine ausgewogene Kost serviert wird, können Kinder und Erwachsene es nicht lassen, Unmengen von Reis zu essen... Sonst fühlen sie sich nicht satt, sagen sie...

Wir danken Ihnen allen für Ihre treue Unterstützung! Wer einmal in Nepal war, weiß, wieviel Ihre Hilfe bedeutet.

Wir wünschen Ihnen Gesundheit sowie alles Gute und Liebe und melden uns im August - September wieder.

Ganz herzliche Grüße,

Elisabeth Montet