Kinderhilfe Nepal e.V.


Rundbrief Mai, 2005

Liebe Freunde,

am ersten Februar 2005, 9 Uhr, hat es für Nepal eine radikale Wende gegeben. Plötzlich waren alle Telefonleitungen tot, und King Gyanendra erschien im Fernsehen, um zu erklären, dass von jetzt an allein er die Macht aus- °' üben würde und für drei Jahre den Ausnahmezustand ausgerufen hätte. Alle Minister seien unter Hausarrest, viele Mitglieder verschiedener politischen Parteien schon verhaftet, und Er, der König, würde die Korruption im Lande abschaffen. Die maoistischen Rebellen, die immerhin, außer im Kathmandutal, fast in ganz Nepal herrschen, rief er zu Verhandlungen auf,

Es dürfen sich jetzt in Nepal nicht mehr als 3 Menschen auf der Straße versammeln, das Demonstrationsrecht ist abgeschafft sowie die Möglichkeit, sich frei zu äußern. Armee und Polizei dürfen jederzeit ohne Durchsuchungsbefehl in alle Häuser eindringen, Geld an sich nehmen und Menschen verhaften. Wenn man auf unabsehbarer Zeit keinen Kontakt mehr zu seiner Familie in Europa haben kann, wir uns, westlichen Menschen, in einer solchen Situation bewusst, welche Chance wir haben, in Ländern zu leben, in denen wir zwar immer unzufrieden sind, aber doch frei leben.

Um die Blockade des Kathmandutales durch die Rebellen zu verhindern, hat der König seine Armee entlang an allen wichtigen Hauptstraßen des Landes postiert, und da er in den letzten Jahren einen enormen Vorrat an Waffen, Hubschraubern und anderen Todesmaschinen von den USA und Indien geschenkt bekommen hatte, beschloss er, dass die Zeit für seine"Machtübernahme" reif war. Die meisten Länder, auch die USA, haben den Monarchen natürlich sofort verurteilt, aber Tatsache ist, dass die aktuelle Situation sehr lange dauern kann.

Das Telefon funktioniert inzwischen wieder, aber am Morgen des Putsches hat die Armee alle Relaisstationen für Mobiltelefone zerstört, und Handys sind ohnehin jetzt verboten, die früher das einzige Mittel für Studenten, politische Parteien und Rebellen waren, um schnell Demonstrationen zu organisieren. Viele Mitglieder aller Parteirichtungen sind nach Indien geflohen, wo sie versuchen, eine Einheitspartei gegen den König zu bilden. Die Rebellen haben erklärt, dass es für sie nicht in Frage käme, mit ihm zu verhandeln, denn die Monarchie sei ihrer Meinung nach sowieso am Ende. In unserem Projekt läuft alles weiter wie bisher, aber Große und Kleine müssen lernen, in der Schule oder am Telefon vorsichtig in ihren Äußerungen zu sein.

In den Slums sehen die Kinder nach drei Monaten guter Nahrung schon viel besser aus, und Sija leitet das Projekt mit Erfolg. Sie kümmert sich auch um die Frauen, die in verzweifelten Situationen leben. Ein großer Teil der Männer ist in die arabischen Golfstaaten gegangen, um Geld zu verdienen, aber viele von ihnen lassen nichts mehr von sich hören, und die Frauen erfahren irgendwann, dass sie sich mit weiblichen billigen Arbeitskräften zusammengetan haben. Die Männer, die in den Slums übrig bleiben, sind meistens betrunken und verspielen ihr bisschen Geld. Die abendlichen Prügeleien hinterlassen Spuren auf manchen Frauengesichtern, die Sija am nächsten Tag versorgen muss. Sie macht frühmorgens einen Schnellehrgang als Krankenschwester, kann schon sehr gut Wunden nähen, und wir bezahlen auch für die Kinder alle medizinische Kosten.

Der junge Sujit, der sich einer Herzoperation unterziehen müsste, um weiterleben zu können, ist eine Woche lang zu Voruntersuchungen im Herzzentrum aufgenommen worden. Am Tag vor dem Eingriff haben die Eltern ihn "entführt", weil sie der Meinung waren, dass diese Klinik ihm nur den Tod bringen würde. Niemand konnte sie überzeugen, dass sie selbst durch ihre Entscheidung ihren Sohn jetzt zum Tode verurteilt haben.

Unsere "Großen" und "Kleinen" vom Kinderhaus nehmen aktiv an der Arbeit in den Slums teil und freuen sich, an jedem freien Tag, den Kindern dort Tanzen, Singen und Spiele beizubringen. Im Moment haben alle Schulen Nepals Ferien, aber Sija möchte nicht, dass die Kinder so lange von ihrer Schule fernbleiben, weil die ganze Arbeit sonst wieder mühsam von neuem angefangen werden müsste.

Dieses Mal lagerte unweit von den Slums die Kaste der Nomaden, der - so vermuteten wir - unsere 17 jährige Sumitra angehört. Wir fanden sie vor 12 Jahren auf der Straße, wo ihre Eltern sie verlassen hatten, weil ein Mädchen ein Mund zuviel zu ernähren bedeutet. Ihr Name sei Sumitra, sagte sie damals. Wir gaben ihr den Familiennamen "Pandey", der von Menschen getragen wird, die in der hinduistischen Religion den Brahmanen fast ebenbürtig sind.

Sumitra ist ein herzliches, gutes Mädchen, das ungeheuer leidet, keine Eltern zu haben. Deshalb gingen wir mit ihr zusammen zu diesen Nomaden, die sie sofort als eine von ihnen erkannten, weil sie an beiden Nasenflügeln ein Loch hat, was nur die Nomadenkaste der "Maute" bezeichnet. Wir fragten sie, wie sie lebten und fühlten, und Sumitra schenkte ihnen 'Obst und Kekse. In dieser Kaste wird man als Baby verheiratet, auch wenn die echte Vereinigung erst mit 20 Jahren stattfindet. Solange bleiben die Kinder bei ihren Eltern und gehen nie zur Schule. Sumitra war aufgewühlt, und sagte all ihren "Geschwistern" abends bei der täglichen Versammlung, was für ein Glück sie doch gehabt hätte, von ihren Eltern verstoßen worden zu sein.

Wenn es gerade keinen Erdbebenalarm gibt, wie es dieses Mal wieder der Fall war, lässt es sich in Children's World gut leben, und wir bekommen oft Besuch von ehemaligen Kindern, die jetzt draußen wohnen und arbeiten. Zwei sind als Computerfachleute tätig, und drei Mädchen haben eine Schneiderwerkstatt aufgemacht. Nanu kam mit 12 Jahren als Analphabetin zu uns. Sie hat das Abitur geschafft, studiert weiter und leitet gleichzeitig ein Projekt, das von Schweizern finanziert wird und darin besteht, Brunnen in den Dörfern zu bohren, Kindern die Schule zu finanzieren und das Leben der Dorfbewohnern zu verbessern.

Wir können alle zusammen stolz sein, soviel Positives erreicht zu haben. Inwiefern die neue politische Situation des Landes für unsere Arbeit hinderlich sein wird, wissen wir noch nicht, aber weitermachen werden wir auf alle Fälle, denn die nepalesischen Kinder brauchen jetzt unsere Hilfe mehr denn je. Herzlichen Dank an Sie alle, die uns so treu bei dieser Arbeit unterstützen, und bis bald im August-September mit Neuem aus Kathmandu.

Bis dahin: Alles Liebe und Gute!

Elisabeth Montet