Liebe Freunde,
seitdem die nepalesischen Maoisten nach dem 11. September zu Terroristen erklärt wurden, befindet sich das Land in einer Art Zivilkrieg. Das Tal von Kathmandu, das von Armee und Polizei geschützt wird, bleibt bis jetzt von großen Gewaltakten verschont, aber breite Teile des Landes sind in den Händen der Rebellen, die im Moment unbarmherzig verfolgt werden. Kein Tag geht vorbei, ohne das alle die wegen des Ausnahmezustands zensierten Zeitungen von erschossenen Maoisten berichten.
Über die Verluste bei den Soldaten und der Polizei wird geschwiegen. Aus den Dörfern kommen üble Gerüchte: Zeugen erzählen, die Soldaten würden von Kampfhubschraubern aus, die ihnen von den Amerikanern geschenkt wurden, auf alles schießen, was im Dschungel oder in den Bergen auf eine Gruppe hindeutet Und viele unschuldige Bauern werden auf diese Art bei der Feldarbeit getötet, weil sie für Terroristen gehalten werden.
Die amerikanische Regierung hat Nepal im März durch ihren Botschafter Waffen im Wert von 200 Millionen US-Dollars zugesichert, ein Schock für alle, die in diesem Land das unglaubliche Elend des Volkes zu lindern versuchen. Solche Nachrichten bringen uns aus der Fassung und lassen uns uns über den Sinn unserer Arbeit nachdenken, denn auch in Kathmandu ist ein Teller Reis Luxus worden.
Offensichtlich heißt es jetzt: Waffen statt Reis und da die Touristen, die wichtigsten Einnahmequelle des Landes, nicht mehr kommen, steigt die Arbeitslosigkeit drastisch. Ein langjähriger Bekannter Leiter einer Thangkamalerei-Werkstatt [Buddhistische Malerei] musste 30 Maler entlassen. Davon meinte er, würde die Hälfte mit Sicherheit zu den Maoisten übergehen, denn die Männer hatten nichts mehr zu verlieren. In diesem Fall kann man sagen: Waffen, die dazu benutzt werde "Terroristen" zu vernichten, bringen noch mehr Elend und Armut mit sich und schaffe ironischerweise automatisch neue Rebellen.
Es gibt zur Zeit mehr Streik-, Fest- und Ausgangssperretage als Arbeitstage, und die ganze Stadt erlahmt mehr und mehr. Die Schulen arbeiten nur noch die halbe Zeit, was das Bildungsniveau nicht verbessert und für unsere Kinder nicht gerade förderlich ist.
In "Children's World" geht es trotzdem gut. Eine Welle von acht neuen Kindern macht im Moment Abitur. NurKusum undDilip werden in der Lage sein, weiter zu studieren. Kusum will unbedingt ein Diplom in Betriebswirtschaft ergattern, und Dilip will Anwalt werden. Für die anderen wird ihren Abiturnoten entsprechend im Sommer eine Ausbildung gefunden werden müssen. Die zehn Jugendlichen, die die zwei Jahre College absolvieren, haben meistens gute Zeugnisse. NurSija undMenuka erreichen nicht das nötige Niveau, um weiter zu studieren, und machen gleichzeitig eine Schulausbildung als Sekretärin.
UnserRaj Kumar hat sein Gewerbe aufgegeben. Die Hühner haben alle Blumen gefressen und zur Verzweiflung aller ihr ,,Geschäft" überall auf dem Grundstück des Kinderhauses gemacht und Raj Kumar hatte es endlich satt, deswegen immer beschimpft zu werden. Aber es ist das unmögliche Benehmen seines neuen Hahnes, das ihm den Rest gegeben hat: Der arme Vogel war in die Regeln des Kastensystems nicht eingeweiht und wusste nicht, dass für Brahmanen Hühner äußerst unrein sind. Als er eines Tages ertappt wurde, als er genüsslich aus dem Teller der alten Brahmanin fraß, die nebenan wohnt, gab es größeren Ärger, und Hahn und Hühner mussten verkauft werden, weil die etwas demente, aber witzige Brahmanenfrau im gsanzen Viertel herumschrie: "Das ist doch nicht "Children's World", das ist ,,Chicken's World".Immerhin konnte sich Raj Kumar mit dem Geld aus dem Verkauf wunderschöne Tennisschuhe kaufen, um seine verformten Füße zu verstecken.
Unser ProblemkindSantosh erscheint immer wieder im Kinderhaus, besonders im Winter, wenn er krank ist. Dann wird er gesund gemacht, verschwindet wieder und schlägt sich durch, meistens als Tellerwäscher. Seine Schreinerlehre hat er abgebrochen und weigert sich, irgendetwas zu lernen.
Zwei ähnliche Fälle kündigen sich schon an: Es war uns gelungen, Dipesh in der besten ! Schule Nepals unterzubringen. Nach mehreren "Vorfällen" ist er rausgeschmissen worden und auch in der staatlichen vom Niveau her niedrigeren Schule, wo er jetzt ist, macht er keine Fortschritte und Kopf als zu stören und Unsinn zu veranstalten. Das fänden wir hier fast "normal", aber in Nepal, wo die meisten Kinder keine solche Chance bekommen, ist es weniger "lustig". Natürlich können wir ihn auch nicht auf die Straße setzen und statt seiner einen "guten" Schüler nehmen, den wir wissen sehr wohl, was aus ihm werden würde: ein schlauer Ganove. Er wird sein Abitur bestimmt nicht schaffen, und wir warten, bis er 14 Jahre alt ist, um ihn in irgendeine Lehre zu schicken, falls er mitspielt.
Unsere größte Sorge istBahrat. Als wir ihn kennen lernten lief er nackt durch den Schlamm von Kathmandu und übernachtete unter der verlausten, schmutzigen Decke einer alten Frau, die inzwischen verschwunden ist. Innerhalb von vier Jahren ist es ihm nicht gelungen, das Alphabet in Nepali oder in Englisch zu lernen. Er ist eindeutig geistig verspätet oder gar behindert, und die Psychiater von Kathmandu konnten uns nicht helfen. Wir können nur hoffen, dass er später in die Obhut von unseren Kindern kommt, die es "geschafft" haben.
Sehr schwierig ist es jetzt für uns,Kleidung nach Kathmandu zu transportieren. Da keine Fluggesellschaft mehr direkt hinfliegt, sind wir auf Touristen angewiesen, die ein paar Kilos mitnehmen können. Kleider sind in Nepal inzwischen fast genauso teuer wie in Deutschland, und wer uns in dieser Sache behilflich sein könnte, würde dem Projekt eine große Gunst erweisen. Ganz besonders Hosen für Mädchen und Jungen sind gefragt, egal in welcher Größe, weil sie dort für wenig Geld angepasst werden können.
Dank Khim, Sarshoti, Meena und Shiva Iäuft das Projekt reibungslos. Meenas Mann, unser ehemaliger Fahrer Chandra, arbeitet jetzt als LKW-Fahrer in Saudi Arabien. Sarsho und Shiva wohnen seit März auf dem Gelände vom Kinderhaus. Mit Khim zusammen sind sie alle ein ideales Quartett: Khim ist der Intellektuelle, Sarshoti und Meena sind die Mütterlichkeit in Person, während Shiva für jede Aufgabe zur Verfügung steht!
Auch wenn die Kinder von "Children's World" - leider - eine deutliche Neigung zeigen, das Elend der anderen Menschen um sich herum zu ignorieren, wissen sie durchaus dass Sie es diese Glücksinsel mitten in der unglaublichen Armut ihres Landes ermöglichen und mit den Erwachsenen des Kinderhauses möchten sie sich bei Ihnen dafür bedanken. Von diesem Jahr an werden wir Ihnen, wie Sie das von anderen Organisationen kenn Spendenquittung für die zwölf Monate zukommen lassen.
Ganz herzliche Grüsse und bis bald.
Elisabeth Montet