Liebe Freunde,
im Oktober-November erlahmt Nepal für einen ganzen Monat. Die Nepalesen
denken nur noch daran, die vielen religiösen Feste zu feiern, die
in dieser Zeit stattfinden. Die meisten Bewohner aus Kathmandu fahren
in ihr Ursprungsdorf, und nichts und niemand kann dieses Reisefieber
verhindern. Die Hauptstadt ist dann leer, und erst nach Dipawli, dem
Fest der Lichter, kehrt das Land zu seiner Normalität zurück.
An diesem Abend des Neu-monds werden die Häuser erleuchtet und
die Türen offen gelassen, denn die Göttin Laxmi soll dann
zu Besuch kommen und die Menschen mit Reichtum für das kommende
Jahr segnen
Die Straßen sind danach mit entsetzlichen Müllbergen bedeckt,
weil ja niemand in den letzten vier Wochen zur Arbeit erschienen ist.
Aber dies stört keinen, denn den Nepalesen macht es nichts aus,
in einer verseuchten Umgebung zu leben. Während die Politiker die
Zukunft des Landes zerreden und nichts tun, fließt das Geld der
internationalen Geldgeber zum großen Teil in die Taschen korrupter
Beamter. Manche Länder, wie z.B. China, versuchen diese allgemeine
Korruption zu verhindern, indem sie direkte und konkrete Hilfe leisten:
Letztes Jahr stellte die chinesische Regierung der Stadt Kathmandu 4000
Mülltonnen zur Verfügung, von denen die meisten aber schnell
gestohlen oder zerstört wurden. Andere Müllbehälter wurden
von Hotelbesitzern unbenutzbar gemacht, weil sie dachten, dass sie ihren
Müll in diesen Plastiktonnen verbrennen sollten
Durch die starken Preiserhöhungen sind es wieder die Ärmsten,
die leiden müssen. Eine nepalesische Familie der Mittelklasse braucht
heute etwa 650 Euro im Monat, um zu über-leben. Dabei verdienen
ausgebildete Menschen monatlich 150 bis 300 Euro. Die meisten Nepalesen
schaffen es aber kaum, 50 bis 100 Euro zu verdienen, und dies, indem
Frauen und Männer sich für Schwerstarbeiten als Zement- und
Steinträger auf Baustellen verkaufen. Den Leuten, besonders Frauen,
die eine hohe Ausbildung abgeschlossen haben, ist es unmöglich,
eine Arbeit zu finden, ohne vorher fette Schmiergelder an ihren Arbeitgeber
zu zahlen. Der Arbeitgeber verlangt offiziell nichts, aber der Arbeitnehmer
wird solange abgelehnt, bis er irgendwann wortlos einen Umschlag mit
oft mehreren Tausend Euro auf den Schreibtisch seines zukünftigen
Chefs legt. Kinderarbeit ist in Nepal verboten, aber die meisten Hausdiener
in wohlhabenden Familien sind Kinder unter 10 Jahren, die für ihre
Arbeit "Kost und Logis" bekommen, das heißt: einen Platz
für Ihre Schlafmatte irgendwo im Haus. In den Dörfern können
Familien sich mindestens von Vieh und Reisanbau ernähren und in
Würde Leben. Diejenigen aber, die alles verkauft haben, um in Kathmandu
ihr "Glück" zu versuchen, landen in den Slums. Und dort
arbeiten wir unermüdlich weiter.
Die Vernichtung der Slumsiedlungen
durch die Regierung hat vorübergehend aufgehört. Auf dem Gelände
des völlig zerstörten Slum von Thapatali zelten die Menschen
in der Winterkälte weiter unter Plastikplanen. Wir sorgen für
die Gesundheit der 300 dort lebenden Kinder, indem wir täglich
unseren mit Vitaminen und Mineralien angereicherten Milchbrei an sie
verteilen: der wirksamste und wertvollste Einsatz unseres Projekts!
Außerdem beliefern wir die Bewohner mittels eines Lkws regelmäßig
mit Trinkwasser. Nicht nur in dem Slum von Thapatali haben wir Hunderte
von Winterjacken verteilt, sondern auch im Slum von Banshigat - dort
führen wir den Kindergarten weiter - und in dem von Sinamangal,
wo Sija und Muna im Gesundheitsposten nach wie vor Menschen beraten
und mit Medikamenten versorgen. Auch ärztliche Untersuchungen der
Kinder wurden in diesem Monat wieder durchgeführt.
Zurzeit kümmern wir uns um ein "Kind" aus dem ehemaligen
Children´s world: Dipesh Lopchan, 25. Im September wurden wir
von einem seiner Brüder benachrichtigt, dass Dipesh, der bis vor
kurzem in einem Hotel in Goa, Indien, gearbeitet hatte, seit Wochen
gelähmt in seinem gemieteten Zimmer lag und kein Geld für
Untersuchungen hatte. Wir ordneten eine MRT des Gehirns an, die einen
sehr bösartigen Tumor zeigte. Dipesh musste ganz dringend an Ort
und Stelle operiert werden, sonst wäre er nach ein paar Tagen gestorben.
Dipesh weiß, dass er nur noch wenige Monate zu leben hat, und
bekommt jetzt in Kathmandu Bestrahlungen und Chemotherapie. Diese Behandlung
soll ihm helfen, diese ihm verbleibende Zeit in einem relativ guten
Zustand zu verbringen, da der Tumor andernfalls erneut wild wachsen
und einen zu großen Druck in seinem Schädel verursachen würde.
Im Krebskrankenhaus von Bhaktapur bei Kathmandu trifft man auf unendliches
Leid. Indrajit, s. Photo, leidet seit zwei Jahren an dem gleichen Krebs
wie Dipesh. Seine Eltern, wie so viele andere Nepalesen auch, haben
alles in ihrem Dorf verkauft in der Hoffnung, dass ihr Kind in Kathmandu
geheilt wird. Sie waren trotzdem nicht in der Lage, für ihn die
bestmögliche Behandlung zu bezahlen. Inzwischen ist er erblindet,
gehörlos geworden und spricht nicht mehr. Die Art, wie mit Krebspatienten
in diesem Krankenhaus umgegangen wird ist geradezu unmenschlich und
empörend. Das Personal ist äußerst unfreundlich und
behandelt die kranken Menschen wie Tiere.
Viele Nepalbesucher sind vom freundlichen Wesen der Nepalesen begeistert.
Einen anderen Eindruck bekommt man, wenn man, wie wir, viele Jahre dort
arbeitet und versucht, die Ärmsten zu unterstützen. Die nepalesische
Gesellschaft erweist sich den Armen gegenüber als rücksichtslos,
egoistisch und sogar grausam. Muna, die im Projekt arbeitet, erzählt
Ihnen dieses Mal in ihrem Brief (s. letzte Seite), was es heißt,
der Kaste der Unberührbaren anzugehören. Wüsste der Vermieter
der Wohnung, in der die Mädchen wohnen, die für das Projekt
arbeiten, dass sie unberührbar ist, hätte er unsere kleine
"Kinder-Hilfe-Nepal-Gemeinschaft" schon längst hinausgeworfen!
Trotz allen Höhen und Tiefen hat unser Projekt sein 25. Jahr erreicht.
Auch wenn es einem schwer fällt, soviel Diskriminierung und Feindseligkeit
unter Nepalesen akzeptieren zu müssen, können uns die Ärmsten
in ihrem elenden, verzweifelten Leben nicht gleichgültig werden.
Und Sie sind es auch, die uns stark motivieren. Ohne Ihre treue Unterstützung
wäre diese Arbeit nicht möglich. Dafür bedanken wir uns
bei Ihnen allen herzlich!
Eine schöne Weihnachtszeit und Glück und Gesundheit im neuen
Jahr wünscht Ihnen
!Elisabeth
Montet
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