Liebe Freunde,
die Begeisterung des Volkes nach
dem Sturz des Despoten König Gyanendra hat sich in ein allgemeines
Chaos verwandelt. Der "Nepali Congress", die größte
konservative Partei des Landes, hat zur Zeit die Überhand, weil
sein Vorsitzender Girija Prasad Koirala, 85 Jahre alt, von allen Parteien,
inklusive den maoistischen Rebellen, zum Premier Minister gewählt
wurde. Der sehr kranke Mann muß leider die meiste Zeit im Krankenhaus
verbringen, was ein Vorankommen der politischen Aktivität verlangsamt.
Das Parlament, das der König vor 4 Jahren aufgelöst hatte,
tagt wieder, und ernsthafte Verhandlungen mit den beiden Chefs der Rebellen,
Dr. Baburam Battharai und Prachanda, finden statt.
Zur Zeit herrscht ein verlängerter
Waffenstillstand, aber die Rebellen weigern sich energisch, ihre Waffen
vor den für April 2007 geplanten Wahlen abzulegen, die Nepal eine
neue Konstitution geben sollen. In diesem Punkt gehen die Meinungen
der rechten und linken Parteien auseinander: Die ersten sind gegen eine
politische Zusammenarbeit mit den Maoisten, während die zweiten
bereits mit ihnen intensive Verhandlungen führen. Die Rebellen
verlangen eine Vereinigung der Armeen beider Seiten zu einer ` einzigen
nepalesischen Armee unter der Aufsicht der UN.
Währenddessen üben eine Unmenge von schönen jungen Rebellinnen
vor den Toren Kathmandus und stellen der überaus interessierten
Presse ein beeindruckendes Waffenarsenal vor. Frauen spielen eine große
Rolle in der maoistischen Bewegung und sind bekannt für ihre Ernsthaftigkeit
und ihre Ausdauer. Die Lage ist mehr als unsicher und sogar gefährlicher
als zur Zeit der Diktatur. Bewaffnete Banden von ehemaligen Maoisten
oder Soldaten der früheren Regierung überfallen Banken und
teure Geschäfte und werden drei Tage nach ihrer Verhaftung freigelassen.
Die Korruption blüht wir noch nie zuvor, und Menschen, die man
bisher als gute Freunde betrachtete, werden plötzlich verdächtig,
weil sie einen lächelnd und unglaublich "unschuldig"
aussehend zu betrügen versuchen. Jeder Scheck wird von der Bank
zweimal überprüft und der angebliche Kunde angerufen, um sicherzustellen,
dass er ihn wirklich ausgestellt hat.
Auch wir hatten eine ganz böse Überraschung: Unser seit fünf
Jahren so seriöser Buchhalter, wahrscheinlich von der allgemeinen
Atmosphäre angesteckt, hatte bei unserer Bank ein schriftliches
Protokoll eingereicht, in dem stand, dass eine Versammlung unserer nepalesischen
Schwesterorganisation "Nepal Association for Children's Care and
Education" stattgefunden hätte, um zu beschließen, dass
das Projekt eine Kreditkarte bräuchte, weil wir einen krebskranken
Jungen ständig mit teuren Medikamenten versorgen müssten.
Die nötige Unterschriften der 12 Mitglieder und des Präsidenten
der Organisation wurden von dem jungen Mann gefälscht, aber die
Bank, die um ihren guten Ruf fürchtet, hat ihre Schriftspezialisten
eingesetzt und benachrichtigte uns rechtzeitig. Für uns alle ein
unglaublich trauriges und schockierendes Ereignis!!! Wir mussten den
Jungen selbst "verhaften" und zur Polizei bringen. Nur wenn
wir einen langjährigen Prozess gegen ihn geführt hätten,
wäre er solange im Gefängnis geblieben aber, da er keine Zeit
gehabt hatte, Geld zu stehlen, wäre er laut nepalesischem Gesetz
als unschuldig entlassen worden! Die 10 Tage im schmutzigen Gefängnis
von Kathmandu musste er mit Schwerverbrechern,, Mördern und Ratten
verbringen. Als wir beschlossen, unsere Klage zurückzuziehen, weil
er sonst in den Kerkern des Landes zum noch größeren Kriminellen
geworden wäre, kam er reuevoll und abgeschreckt von der brutalen
Behandlung der Polizei aus der Gefangenschaft heraus.
In diesem verwirrenden Alltag geht das Leben weiter. Man passt z.B.
jetzt als Fußgänger auf, nicht von Fahr- und Motorrädern
angefahren zu werden. Einer französischen Freundin wurde auf diese
Weise die Handtasche mit Geld und Papieren weggerissen. Telefonische
Drohungen gehören zum Alltag und vermitteln ein sehr unangenehmes
Gefühl der Unsicherheit und der Angst.
In unseren beiden Wohnorten, dem Haupthaus und der Wohnung der Größeren,
funktioniert alles nach wie vor. Die bevorstehende Tragödie, unseren
Pramod verlieren zu müssen, schwebt wie ein Schatten über
dem Projekt. Chemo- und Radiotherapien haben nicht geholfen, und jetzt
kümmern sich die Ärzte nur noch um die Infektionen, gegen
die sein schwacher Körper sich nicht mehr wehren kann. Es ist ein
Hin und Her zwischen Krankenhaus für Behandlungen und Bluttransfusionen
und "zu Hause", wo wir ihm das Leben so schön wir möglich
machen. Er hat nur noch ein bis zwei Monaten zu leben. Wir haben seine
Lieblingskrankenschwester Swetscha bei uns aufgenommen, die ihn und
unseren Muskeldystrophiekranken Raj Kumar rührend und liebevoll
pflegt. Pramods Bruder Prakash leidet sehr unter dieser schrecklichen
Situation, die uns alle als Familie eng zusammenschweißt. Das
Schwerste für uns ist zu lachen und Spaß zu machen, denn
Pramod glaubt immer noch an seine Heilung und scheint von seinem baldigen
Ende nichts zu ahnen.
"Unser Boss" Deepak ist uns seit 4 Jahren so hilfreich und
treu zur Seite gestanden, dass wir beschlossen haben, ihn nach Thailand
zu schicken, um Psychologie zu studieren. Er ist ein sensibler, intelligenter
Junge, der bei einem Studium in Nepal keine Zukunft hat. Die Universitätsabschlüsse
des Landes sind im Ausland nicht anerkannt, weil das Bildungsniveau
unglaublich niedrig ist, und wir denken, dass Deepak eine bessere Chance
als die meisten unserer Größeren verdient hat. Ihn weiter
als leitenden Angestellten zu behalten, würden wir als Mil3brauch
betrachten, weil seine Aufgabe für das Projekt viel zu viel von
seiner Studienzeit beansprucht. Ein ganzes Jahr Studium in der Internationalen
Missionsuniversität von Thailand (von Amerikanern gegründet)
kostet "nur" 4.900 US $ alles inklusive, und ihre Zeugnisse
werden überall im Ausland anerkannt. Verglichen mit Studien in
England oder in den USA, ist diese Summe tragbar, da man an amerikanischen
Universitäten mit einem Minimum von 20.000 US $ (z. B. in Ohio)
bis zu 45.000 US $ (in Harward) ohne Kost und Logis für ein Jahr
rechnen muss! Wir wissen, dass Deepak seriös ist, und da es in
Nepal keine Psychologen gibt, kann er bei seiner Rückkehr sicher
sein, sich bei den Menschen seines Landes nützlich zu machen.
Unsere Hauptarbeit gilt nach wie vor den Slums, wo unsere Mädchen
stets mit viel Engagement arbeiten. Sija leitet das Projekt, widmet
sich aber nur noch der Sozialarbeit. Da die Hälfte der Angestellten
des Projekts aus dem Slum stammt, hat sich unsere Stellung in der Gemeinschaft
gefestigt. Jetzt herrschen gegenseitig Freundlichkeit und Vertrauen.
Eine immer besser Hygiene einzuführen bleibt die Hauptsorge und
das Hauptziel der Arbeit. Immer wieder muss Sija die gleichen Ratschläge
wiederholen. Jetzt ist das Grundwasser durch die Regenzeit verseucht,
und viele Kinder sind krank und haben eine ansteckende Grindflechte
(Impetigo). Wir haben eine junge Ärztin kommen lassen, die nicht
nur die 200 Kinder, sondern auch die Mütter untersucht hat. Wir
haben jetzt im Slum unsere eigene Apotheke und jeder, der Probleme hat,
kommt zu Sija, um natürlich kostenlos "behandelt" zu
werden.
Wir wissen aber inzwischen, wer die "weniger armen" Familien
sind und Sija schickt deren Mitglieder ins nächste billige --"
Krankenhaus mit der Begründung, dass sie sich bei ihrem Fall nicht
richtig auskennt und sie zu einem echten Doktor gehen sollten. Sija
und ihr Team nehmen keine Ferien, weil sie sich, ganz besonders die
Angestellten des Slums, bewusst sind, dass die Kinder täglich ihre
Grundnahrung brauchen und alle Bemühungen, die seit drei Jahren
geleistet wurden, innerhalb von einigen Ferientage völlig vernichtet
würden. Wir bezahlen sie natürlich für diese zusätzliche
Arbeit, denn das Leben im Slum ist furchtbar hart und im Sommer ganz
besonders unerträglich. Unsere ganze Bewunderung gilt diesen Mitarbeitern,
die bei diesem langwierigen und schwierigen Einsatz schon Unglaubliches
erreicht haben.
Es kommt uns wie eine ständige Wiederholung vor, Ihnen allen zu
danken, die diese Arbeit möglich machen, aber das tun wir wirklich
von ganzem Herzen, denn ohne Ihre finanzielle Unterstützung wäre
nichts möglich. Wir wünschen Ihnen im Namen aller Menschen,
denen Sie zu einem besseren Leben verhelfen, alles Gute und Liebe!
Elisabeth Montet
|