Liebe Freunde,
wer heute zum ersten Mal in Nepal ankommt, kann kaum glauben, dass der
Himalaya-Staat immer noch zu den 16 ärmsten Ländern der Welt
zählt: Kathmandu sieht zu dieser Jahreszeit wie jede indische Großstadt
aus: Staub und Abgase sorgen dafür, dass die meisten Menschen in
unerträglichen, endlosen Verkehrsstaus vergiftet werden, während
sich eine immer größer werdende Ober- und Mittelschicht in
teuren klimatisierten Wagen vor dem Übel schützt.
Anlässlich der letzten Wahlen wurde eine europäische Kommission
aus 28 Ländern von der nepalesischen Regierung zur Beobachtung
eingeladen. Diese machte einen insgesamt positiven Bericht, äußerte
aber einige Empfehlungen, die, wenn sie befolgt würden, Nepal zu
einer stärkeren Demokratie helfen würden. Die meisten politischen
Parteien reagierten heftig, und der empörte kommunistische Premier
Minister OLI bat die EU-Kommission, ihren Bericht umgehend zu korrigieren,
denn ihre Äußerungen seien eine Einmischung in die internen
Angelegenheiten seines Landes...
Nepal möchte
jetzt als modernes Land international anerkannt werden. Deshalb wurde
eine Frau zur repräsentativen Präsidentin des Staates gewählt,
eine Geste, die nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass die
meisten Politiker aller Parteien nach wie vor Männer sind, die
seit immer zu den dominanten Kasten und ethnischen Gruppen des Landes
gehören. Anerkennen muss man aber, dass Premier Minister OH effektiver
arbeitet als seine Vorgänger, indem er Entscheidungen trifft, die
Nepal aus seiner Lethargie bestimmt helfen werden: Bis heute gab es
in Nepal 64 offizielle Feiertage im Jahr, die mit den häufigen
Streik- und Demonstrationstagen zusammen zwar viele Nepalesen erfreuten,
beinahe sechs Monate lang aber das Leben des Landes lahmten. Jetzt werden
sie sich alle mit nur noch 22 Feiertagen begnügen müssen...
Unsere Arbeit zu Gunsten bedürftiger Kinder geht in den Slums von
Kathmandu weiter. Sie wird aber neuerdings von der Einmischung der Regierung
immer mehr beeinträchtigt: Durch neue Gesetze will das Ministerium
für Soziale Fragen jetzt kontrollieren, wie, wo, wann und warum
Geld von internationalen Organisationen ausgegeben wird, und tut damit
alles, um die Arbeit dieser großen oder kleinen Vereine zu erschweren.
Nicht direkt Kinderhilfe Nepal wird von der nepalesischen Regierung
überprüft, sondern ihre Schwesterorganisation "Nepal
Association for Children's Care and Education", ohne deren Existenz
unser Einsatz in Nepal nicht legal wäre. Unsere Mitarbeiterinnen
Muna und Sushma vertreten die nepalesische Organisation und müssen
immer mehr Zeit mit Papierkram und Schlangestehen in den Regierungsstellen
verbringen. Jeder neue Einsatz muss ab jetzt beim Ministerium vorgetragen
werden, deren Mitarbeiter Wochen und sogar Monate lang auf eine Genehmigung
warten lassen. Wenn die Kin-derhilfe Nepal wortwörtlich diesen
neuen Anordnungen folgen würde, müsste sie ihre Arbeit ' immer
wieder für längere Zeit unterbrechen, bis die von der Regierung
erhoffte Zustimmung kommt, und das tun wir keineswegs. In den letzten
30 Jahren haben wir immer bei allen verschiedenen politischen Ereignissen
des Landes den richtigen Weg zu einer effizienten Unterstützung
der nepalesischen Kinder gefunden, und das werden wir auch jetzt weiterhin
tun.
Wir sind mit dem Erfolg unseres Einsatzes im Slum von BANSHIGAT besonders
zufrieden. Kindergarten und Gesundheitsposten sind das Herz der Siedlung,
und unsere Mitarbeiter am Ort sind eingeübt und zuverlässig.
Auch die Einwohner dieses Slums wachsen und haben in den letzten 10
Jahren durch unseren Einfluss an Lebensqualität und Würde
gewonnen. Durch unsere Kinderkrippe können die Mütter jetzt
arbeiten gehen und tragen dazu bei, die Familie mit zu ernähren.
Geldprobleme haben sie aber nach wie vor: Wir waren erstaunt, als die
Mitarbeiter des Kindergartens uns um Hilfe baten, um Unterwäsche
für die Kleinen zu kaufen. Manche machen noch ihre Hose nass, meinten
sie... Am Ende erfuhren wir, dass die meisten Kinder, auch die Größeren,
gar keine Unterhosen besaßen.
Einige Schwierigkeiten bereitet uns der Slum von THAPATHALI, weil die
von den verschiedenen politischen Parteien unterstützten Gangs
für eine feindliche Atmosphäre sorgen und ein Gefühl
der Solidarität unter den Bewohnern verhindern. Wie in den anderen
Slum-Gemeinschaften verteilen wir auch hier unseren nahrhaften Milchbrei
an die Kinder und liefern regelmäßig Trinkwasser für
die ganze Siedlung. Im letzten Brief sprachen wir von unserem Wunsch,
die Bedürftigen dieses Slums von den "Wohlhabenderen"
zu unterscheiden. Es ist nämlich aufschlussreich, sich das Innere
der Plastikhütten anzuschauen: Manche verstecken teure, protzige
Möbel, während in der Unterkunft der Ärmsten nicht einmal
ein Bett steht. Es sind diese etwas besser betuchten Leute, deren modische
Kleidung besonders auffällt, die Spannungen verursachen. Sie tun
alles, um ihre "bessere" Situation vor uns zu verstecken und
verlangen von uns genau dieselbe Behandlung wie diejenigen, die es wirklich
brauchen. Wir überlegen uns oft, ob wir unseren Einsatz in diesem
Slum nicht ganz beenden sollten, aber wir zögern immer wieder,
weil wir wissen, wie schwer diese Entscheidung die armen Familien von
Thapathali treffen würde.
Bei unseren sesshaft gewordenen MAUTE Nomaden ist eine richtige Entwicklung
kaum zu spüren. Sie freuen sich immer auf unsere Unterstützung,
sind aber genauso freundlich, wenn unsere Mitarbeiterinnen "einfach
so" vorbeikommen. Die Mütter haben es satt, so viele Kinder
zu bekommen, aber eine seriöse Familienplanung ist bei ihnen nicht
möglich, weil sie die Pille vergessen, oder den Termin für
die Dreimonatsspritze einfach verpassen. Eine von ihnen, die mit 19
Jahren schon drei Kinder hat, wäre bereit, eine Tubenligatur durchführen
zu lassen, aber die Ärzten weigern sich, diese Operation vorzunehmen,
weil sie zu jung ist... Die Männer erklären ganz offen, dass
Empfängnisverhütung ausschließlich das Problem der Frauen
sei. Auch für die Väter von 5 oder 6 Kindern kommt eine Vasektomie
überhaupt nicht in Frage, weil diese ihre Männlichkeit zerstören
würde, meinen sie... Trotzdem bespricht Muna immer wieder dieses
Thema mit den Frauen und gibt ihnen mindestens Ratschläge zu einer
besseren Hygiene. Die meisten Frauen dieser ethnischen Gruppe sind sehr
schlank und haben nicht genug Milch, um ihre Neugeborenen ausreichend
zu stillen. Deshalb versorgen wir jetzt! Babys, bis sie sechs Monate
alt sind, mit einem in Nepal teuren, speziellen Milchpulver, sich sonst
nie leisten könnten. Wenn die Kleinen 7 oder 8 Monate alt sind,
können sie unseren mit Vitamin und Mineralien angereicherten Milchbrei
zu sich nehmen.
Ungleich zu den Maute Leuten machen die Menschen von MUDHKU, wo wir
20 erdbebensichere Häuser nach der Katastrophe von 2015 gebaut
haben, dauerhaft Fortschritte. Aber auch sie haben finanzielle Probleme
und könnten die Zahnarztkosten für ihre Kinder niemals tragen.
Für solche Fälle sind wir ihnen immer wieder behilflich.
Wir danken Ihnen sehr für Ihre treue Unterstützung bei unserem
Einsatz in Kathmandu und melden uns Anfang September wieder.
Ganz herzliche Grüße
Elisabeth Montet
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