Liebe Freunde,
in diesem Frühjahr hat es in der stagnierenden politischen Situation
Nepals etwas Bewegung gegeben: die vier mächtigsten Parteien des
Landes haben sich nach monatelangen Verhandlungen auf einen Kompromiss
geeinigt: Der maoistische Premierminister Baburam Baitharai war nicht
bereit, zurückzutreten, falls die Armee die Macht übernehmen
sollte. Deshalb entstand eine Interimsregierung, die jetzt von Nepals
Oberstem Richter R J. Regmi geführt wird. Dieser Richter ist ein
unbestechlicher und von allen respektierter Mann, der jetzt zusammen
mit neuen von ihm ernannten Ministern dabei ist, Generalwahlen zu organisieren.
Nepal lebt jetzt seit Jahren ohne Verfassung, und der demokratische
Weg soll dem Land einen neuen Anfang ermöglichen. Die große
Mehrheit der Nepalesen sind aber entweder Analphabeten oder zeigen überhaupt
kein Interesse für Politik. Sie wissen, dass die meisten Politiker
korrupt sind, und ziehen es vor, den Alltag so hinzunehmen, wie er kommt.
Auch unsere Mitarbeiter gehören leider zu diesen ignoranten Bürgern:
Sehr oft wachen wir morgens voller Energie auf, um unsere Arbeit zu
erledigen, aber siehe da: die Straßen sind leer, niemand darf
fahren, sonst wird er mit Steinen beworfen, und Fahrzeuge werden nicht
selten in Brand gesetzt. Im Laufe des Tages erfährt man durch Gerüchte,
dass entweder die Taxifahrer gegen die erhöhten Benzinkosten protestieren
oder dass die Lehrer mehr Geld verlangen. Oder es sind die Extremlinken,
die immer wieder gegen die Entscheidungen der anderen Parteien demonstrieren.
Alle Geschäfte und Schulen sind dann geschlossen, weil jeder vor
Repressalien Angst hat. Während die Mittelklasse sich freut, wieder
einmal frei zu haben und eigentlich nicht wissen will, warum und von
wem gerade gestreikt wird, verschlimmern diese "Streiktage"
das schon schwierige Leben der Armen, die dann auf ihr Tageseinkommen
und ihren täglichen Reis verzichten müssen.
Wenn ein Volk politisch so unwissend und so gleichgültig ist, fragt
man sich unter welchen Bedingungen faire Wahlen stattfinden sollen.
Die Siegerparteien werden wahrscheinlich wieder einmal diejenigen sein,
die die meisten Wähler durch Geld bestechen, eine sonderbare Art,
aus Nepal eine richtige Demokratie zu machen. Die Inflation und die
ständig steigenden Lebenskosten machen aus dem Land das acht ärmste
Land der Welt. Da die Mehrheit der Bevölkerung nur Maisgrütze
oder nur Reis isst, Leiden viele an Unterernährung. Ganz besonders
im Kleinkindalter bis zu fünf Jahren brauchen Kinder eine ausgeglichene
Nahrung, die ihnen eine gesunde körperliche und geistige Entwicklung
ermöglicht. Ein Mangel an den nötigen Vitaminen und Mineralien
in diesem Alter ist dann irreversibel. Und auch wenn das Niveau des
nepalesischen Schulsystems besonders niedrig ist, haben viele Kinder
große Schwierigkeiten beim Lernen. Nicht nur an Nahrung fehlt
es den Menschen, sondern auch an Wasser. Die frischen, unerschöpflichen
Wassermassen des Himalajas werden im Tal von Katmandu zu Flüssen,
die nur Fäkalien und Abfälle transportieren. Die Luftverschmutzung,
die als dicke, braune Wolke über der Hauptstadt hängt, verursacht
Krankheiten der Atemwege bei 30% der Kinder. Kinderhilfe Nepal hat sich
zum Ziel gesetzt, gerade diese drei wesentliche Mängel im Leben
der Kinder aus den Slums zu bekämpfen: Unser Essensprogramm macht
aus den Babys gesunde Kinder, und auch die Erwachsenen profitieren von
dem trinkbaren Wasser, das wir durch Lkws in die Slumsiedlungen mehrmals
in der Woche liefern lassen.
Die Regierung hat es vorläufig aufgegeben, die Slums zu zerstören.
Die 1500 Bewohner aus dem zertrümmerten Slum von Thapathali leben
weiterhin unter Plastikplanen, und sobald jemand versucht, sich eine
festere Behausung zu bauen, kommt sofort die Polizei, um sie zu vernichten.
Sija, die sich jetzt auf ihren Master in Psychologie konzentrieren möchte,
hat fürs Erste aufgehört, für uns zu arbeiten, ist aber
immer wieder bereit zu helfen, wenn es nötig ist. MUNA und SUSHMA
führen jetzt das Projekt. Muna ist durch ihre Ausbildung als Gesundheitsassistentin
befugt, Medikamente zu verteilen und kleine Eingriffe durchzuführen.
Wir übernehmen die Kosten zahlreicher Operationen, die ohne unsere
Hilfe nicht stattfinden könnten. Da die Eltern nicht wissen, wie
man sich in einem Krankenhaus verhalten soll, brauchen sie mindestens
für die Anmeldung die Begleitung eines unserer Mädchen. Der
Gesundheitsposten von Sinamangal ist jetzt der Ausgangspunkt der Besuche,
die Muna und Sushma in sechs verschiedenen Slumsiedlungen wöchentlich
abhalten. Wir haben festgestellt, dass es sich nicht lohnt, in unserem
medizinisch ausgestatteten Raum auf Kranke zu warten, die unseren Dienst
dann doch nicht in Anspruch nehmen. Nur wenn eine Krankheit akut wird
und es dringend Zeit ist, ins Krankenhaus zu gehen, finden die Menschen
der Slums den Weg zu uns. Aus diesem Grund haben wir beschlossen, zu
ihnen zu gehen.
Muna und Sushma besuchen jetzt alle Hütten dieser sechs Slumgemeinschaften
und können durch ganz einfache Mittel und Ratschläge über
5000 Menschen beistehen, bevor die gesundheitliche Situation vieler
von ihnen dramatisch wird. Sie verteilen auch ihre Telefonnummer, so
dass sie jederzeit angerufen werden können, wenn es Probleme gibt.
Im März haben wir auch einen Arzt engagiert, der die Kinder in
den zwei größten Slumgebieten untersuchte und Muna und Sushma
in ihrem Kampf für eine bessere Hygiene in den Slums unterstützte.
Dank Ihrer treuen Hilfe können wir unser Nahrungsprogramm auf Hunderte
von Kindern erweitern. Weil die meisten Eltern ihren Kindern nicht mehr
als einen Teller Reis zum Essen bieten können, haben wir beschlossen
unseren nahrhaften Milchbrei an die Kinder bis 15 Jahre in den Slums
zu verteilen. Noch einmal vielen Dank an Sie alle, die diese Arbeit
möglich machen. Wir melden uns wieder Anfang September,
Ganz herzliche Grüsse
Elisabeth Montet
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