Liebe Freunde,
im letzten April schickte der Despot Nepals, König Gyanendra, seine
bewaffnete Armee und Polizei gegen sein grollendes Volk aus. Nach blutigen
Straßenkämpfen, die Tote und viele Verletzte zurückließen,
- unter anderem Hunderte von Kindern - musste der Diktator letztendlich
auf Druck der aufgewühlten Massen die Macht an die Allianz der
verschiedenen Parteien des Landes zurückgeben. Das Parlament, das
er vor 4 Jahren aufgelöst hatte, ist jetzt wieder zusammengekommen.
Die neue Regierung heißt jetzt nicht mehr "Regierung Seiner
Majestät", sondern "Regierung Nepals".Sie wird in
Zukunft über das Budget des Monarchen entscheiden, der wie jeder
andere Bürger auch Steuern bezahlen wird. Die Friedensverhandlungen
mit den maoistischen Rebellen haben jetzt Priorität. Dazu haben
die Kämpfer in einen dreimonatigen Waffenstillstand eingewilligt
und verlangen dabei die Hilfe der UN, aber ausländische Mächte
wie Indien und die USA ziehen weiter ihre Fäden "unter dem
Tisch" und, laut den nepalesischen Intellektuellen, fördern
sie die Zersplitterung der noch vor kurzem vereinten politischen Kräfte
des Landes. Einzig die Hauptstadt Kathmandu konnte am Ende der Revolte
noch Armee und Polizei beschützen. Der Despot hatte in seinem Palast
genug Proviant, um eine lange Belagerung durchzustehen.
Für das Volk dagegen
wurde es schwer zu überleben: Es gab u.a. kein Benzin, kein Gas,
kein Salz mehr, und schließlich fing es an, an allem zu fehlen.
Da der König von Nepal seit uralten Zeiten als die Reinkarnation
des Gottes Vishnu betrachtet wird, (Vishnu - der Schöpfer im Gegensatz
zu Shiva - der Zerstörer), ist diese Revolution ein entscheidender
Einschnitt in das kulturelle und religiöse Erbe des Landes. Die
Situation bleibt unsicher, aber es herrscht erst einmal Optimismus,
auch wenn einem großen Teil der Bevölkerung die Reformen
der Regierung zu langsam vorangehen. Es gibt immer noch täglich
Straßendemonstrationen, bei denen die Menschen weiterhin die jetzt
in Nepal berühmt gewordene Parole schreien:"Gyanendra, Bandit,
geh aus unserem Land!" Also besteht weiterhin Chaos, aber mindestens
fließt kein Blut mehr, und das nepalesische Volk hat durch diese
Ereignisse an Selbstvertrauen gewonnen. Unsere Arbeit in Kathmandu geht
weiter.
Wir hatten die 50 Menschen
von Children's World rechtzeitig mit 3 Monaten Vorräten versorgt,
weil niemand wusste, wie lange die Belagerung der Stadt dauern würde.
Als wir den Müttern im Slum sagten, sie sollten für ihre Familie
das Gleiche tun, schämten wir uns sofort über unseren peinlichen
Vorschlag, denn natürlich antworteten sie :"Das können
wir nicht, wir haben, wenn überhaupt, nur genug Geld, um heute
zu essen.!"...Wir konnten die Ernährung für 3000 Menschen
nicht übernehmen, also haben wir drei Monate Vorräte für
die Kinder der Slumsiedlung organisiert. Wir haben mehr Personal eingestellt,
darunter drei, die im Slum leben. Purna, der sein College beendet hat,
ist froh über diese Gelegenheit, für seine Leute etwas zu
tun und gleichzeitig Geld zu verdienen. Er ist ein äußerst
netter und einfühlsamer junger Mann, der Sija, der Leiterin des
Projektes, ehrenamtlich schon oft zur Seite stand. Es gibt nicht viele
Jugendliche im Slum, deren Eltern schwer gearbeitet haben, um sie in
die Schule zu schicken, und wir wollen beide Seiten so weit wie möglich
unbedingt in unsere Arbeit einbeziehen, damit unter den Menschen der
Siedlung ein bisschen Selbstachtung entsteht.
Der Ort ist nach wie vor
sehr arm, aber sauber. Über den Abwasserrohren, die wir gelegt
haben, ist ein Spielplatz entstanden, die die Slummenschen selbst mit
Pflanzen und Bambus verschönert haben. Die Frauen haben es besonders
schwer und wir haben ihr "Verteidigungskommando", das nach
wie vor zwischen 19 Uhr und l Uhr nachts regelmäßig patrouilliert,
mit Regenmänteln für die Regenzeit ausgerüstet. Seitdem
die Frauen ihre Mitschwestern in dieser Weise beschützen, ist die
Gewalttätigkeit der Männer drastisch gesunken. Wir wären
bereit, für manche junge Alkoholiker eine Entziehungskur zu bezahlen
(15.000 Rupien = ca. 170 Euro) aber keiner von ihnen ist bereit, 3 Monate
in eine geschlossene Anstalt zu gehen, wo die Süchtigen zu sportlichen
Aktivitäten gezwungen und von der Polizei bewacht werden. Ein Entkommen
gibt es dann nicht...
Sija kontrolliert das
Projekt und arbeitet jetzt mehr als Sozialarbeiterin, weil sie ständig
mit den Problemen des Slums konfrontiert wird. Sie kennt jede Hütte,
und alle Frauen vertrauen ihr. Jeden Tag tauchen neue Schwierigkeiten
auf, mit denen sie fertig werden muß. Jetzt arbeiten wir zwischen
Kathmandu und Frankfurt noch enger zusammen, da das Internet-Telefon
uns kostenlos verbindet, und wir stundenlang darüber reden können,
welche Maßnahmen in den Slums getroffen werden sollen oder auch
darüber, was in Children's World passiert, das Deepak mit Erfolg
im neuen erdbebensicheren Haus leitet. Sija wohnt mit 12 anderen "Großen"
in einer Wohngemeinschaft in der Stadt, aber alle treffen sich jeden
Samstag um 11 Uhr zur Hauptversammlung, in der Probleme diskutiert werden
und das heiß begehrte Geld sparsam verteilt wird.
Mit großer Traurigkeit erfüllt uns der Zustand unseres an
Leukämie erkrankten Pramods, der kaum Chancen hat, seine Krankheit
zu überleben. Die Chemotherapie-Zyklen schwächen sein Immunsystem
so sehr, dass er jedes Mal neue gefährliche Infektionen bekommt
und nur noch aus Haut und Knochen besteht. Raj Kumar, der an Muskeldystrophie
leidet, ist völlig gelähmt und bekommt neuerdings immer wieder
Lungenentzündungen, von der eine in Zukunft ihm sicher den Tod
bringen wird. Beide Jungen liegen uns sehr am Herzen.
Vielen, vielen Dank an alle, die für den Zellseparator gespendet
haben. Natürlich sind die 8000 Euro, die bis jetzt eingegangen
sind, noch lange nicht genug, aber wir werden andere Wege gehen und
geben nicht auf, denn dieses Gerät ist von sehr großer Wichtigkeit
für Nepal. Pramods Arzt, Dr. Sudip, der einzige Cancerologe des
Landes, bietet uns an, einen Vertrag zu machen, der bestimmen soll,
wo das Gerät stehen wird, wer es warten und bedienen wird. Er schlägt
sogar vor, dass eins oder zwei unserer großen Kinder dazu angelernt
werden, damit wir die Kontrolle über das Gerät behalten.
Außerdem soll im Vertrag stehen, dass nur die Reichen für
die Blutplättchen bezahlen, und die Armen dagegen kostenlos versorgt
werden. Das nepalesische Rote Kreuz betreibt eigentlich die Blutbank
von Kathmandu, und die große Anzahl von brandneuen klimatisierten
Autos, die mit dem berühmten roten Zeichen durch die Stadt fahren,
gibt uns keinen Grund, dieser Organisation zu vertrauen: Für einen
einzigen solchen Wagen könnte man einen Zellseparator erwerben,
aber, wie sehr oft in den Ländern der dritten Welt, fließt
das ausländische Geld in die Taschen von Menschen, die, falls ihr
Kind an Leukämie er-kranken sollte, es problemlos nach Europa oder
in die USA schicken könnten. Die Armen dagegen haben keine Chancen,
weil es in Nepal keine Krankenversicherung gibt. Sie sterben sowieso
ohne jede Behandlung.
In Children's World geht es sonst vorwärts. Es wird gelernt und
studiert. Nelson, inzwischen 2 Jahre alt, ist recht aufgeweckt und geht
in den Montessori-Kindergarten Kathmandus. Unsere Mitarbeiter werden
nicht jünger und unsere Köchin Mai leidet an einem schweren
Diabetes. Diese Krankheit betrifft die Nepalesen in höherem Maße,
weil sie seit frühester Kindheit, die meistens sehr arm war, daran
gewöhnt sind, Berge von Reis ohne jede Beilage zu essen. Auch im
Kinderhaus, in der eine ausgewogene Kost serviert wird, können
Kinder und Erwachsene es nicht lassen, Unmengen von Reis zu essen...
Sonst fühlen sie sich nicht satt, sagen sie...
Wir danken Ihnen allen für Ihre treue Unterstützung! Wer einmal
in Nepal war, weiß, wieviel Ihre Hilfe bedeutet.
Wir wünschen Ihnen
Gesundheit sowie alles Gute und Liebe und melden uns im August - September
wieder.
Ganz herzliche Grüße,
Elisabeth Montet
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