Liebe Freunde,
auch wenn der maoistische Premierminister Baburam Bhattarai von den
Oppositionsparteien und von der eigenen Basis scharf kritisiert wird,
kann niemand leugnen, dass es ihm in seinem sechsmonatigen Amt nicht
gelungen wäre, endlich etwas im Lande zu bewegen. Baburam Bhattarai
ist ein intelligenter, unbestechlicher Politiker, der eine echte Vision
von der Zukunft seines Landes hat und alles tut, um sie in die Tat umzusetzen.
Nepal liegt gefangen zwischen Indien und China, und der Premierminister
verhandelt geschickt mit den zwei schnell wachsenden Großmächten,
damit auch sein Land so gut wie möglich an dieser Entwicklung teilhaben
kann.
Endlich werden die Finanzspritzen der USA, der europäischen Länder
oder des Internationalen Währungsfonds in Großprojekten eingesetzt,
und der Kampf gegen die Korruption im eigenen Land hat jetzt Priorität.
Straßen und Brücken werden überall gebaut, und die Nepalesen,
die zurzeit meist ohne Strom leben müssen, können, wenn alles
gut geht, in ein paar Jahren mit Elektrizität rechnen, die große
Wasserkraftwerke produzieren sollen. Allein im Kathmandutal, das ein
1.500 km großes Straßennetz besitzt, werden 500 Kilometer
Straße erweitert und neu gebaut.
Dafür müssen viele Häuser am Straßenrand zerstört
und ihre Besitzer entschädigt werden. Den Zehntausenden von Menschen
aus den Siums aber, die seit 30 Jahren Regierungsland besetzt halten
und dort oft Häuser gebaut haben, werden nur 150 € pro Familie
angeboten, damit sie ihre Siedlungen verlassen. Diese lächerliche
Summe empfinden sie wie eine Ohrfeige. Gerade sie, die die Partei des
Premierministers an die Macht gebracht haben, fühlen sich ungerecht
behandelt und demonstrieren, sobald die Regierung in der Zeitung einen
neuen Termin für die Zerstörung der Slums veröffentlicht.
Die Situation zieht sich in die Länge, aber die Bewohner der Slums
glauben immer noch, dass sie gegen den Staatsapparat gewinnen werden.
Die meisten Hüttensiedlungen liegen an den Flussufern der Stadt,
und ihre Einwohner ignorieren einfach, wie die Riesenbrücken ihnen
über den Kopf wachsen. Niemand kann voraussagen, wann die Regierung
ihre Bulldozer plötzlich schicken wird, um die Blechhütten
und Häuser "plattzumachen."
Wir passen uns den Umständen an: In "unserem" Slum von
Banshigat werden die Kinderbetreuung, die Aufklärungsstunden und
unser Ernährungsprogramm fortgesetzt.
Trotz der unsicheren Situation haben wir für rund 1000 € einen
Gesundheitsposten in einer größeren Slumsiedlung eingerichtet,
die etwa 10.000 Menschen zählt. Muna, die jetzt ihr Diplom als
Gesundheitsassistentin besitzt, und Sija untersuchen Kinder, Frauen
und alte Menschen und verteilen kostenlos Medikamente. Muna begleitet
die Menschen, die es nötig haben, ins Krankenhaus. Amit, 17, wurde
wegen Krebs der rechte Arm amputiert; er wird jetzt von "unseren"
beiden jungen Frauen durch strenge Physiotherapie auf eine Armprothese
vorbereitet.
Es ist der Mangel an Geld, aber auch die Ignoranz der Eltern, die ihre
Kinder oft in aussichtslose Situationen bringen. Riya war noch vor einem
Jahr eine sehr gute Schülerin. Plötzlich klagte sie über
sehr starke Kopfschmerzen und konnte nicht mehr in die Schule gehen.
Erst nach vier Wochen, als sie kollabierte, brachte ihre Mutter sie
ins Krankenhaus. Die Diagnose: eine akute Meningitis, die das Gehirn
des Mädchens völlig zerstört hatte. Sie wird jetzt zu
Hause in einem schmutzigen Raum durch eine Magensonde ernährt,
und ihre Überlebenschancen sind gleich null. Da ist auch Saugat,
der dringend eine Niere braucht. Sein Vater weigert sich, ihm eine zu
spenden. Seine Mutter würde es gern tun, aber ihr Mann und die
Familie verbieten es ihr, weil sie täglich auf Baustellen arbeitet
und die Großfamilie dadurch ernährt. Saugat wird also ebenfalls
sterben.
All diese Fälle sind für uns unerträglich, weil die Eltern
die direkt Verantwortlichen für das Unglück ihrer Kinder sind.
Materielle Hilfe zu leisten ist nicht schwierig, aber der unglaublichen
mentalen und psychischen Armut der Erwachsenen stehen wir hilflos gegenüber.
Viele Nepalesen sind zuckerkrank und ignorieren die Ernährungsempfehlungen
und die Insulinverordnung der Ärzte. "Dafür haben wir
kein Geld", sagen sie nur immer wieder dazu... 80% der Kinder unter
10 Monaten leiden an Anämie. In entfernteren Regionen hungern die
Menschen. Hinzu kommt, dass die von der Regierung neuerdings angeordnete
Aussaat von genmanipuliertem Mais, der eine reichere Ernte versprach,
im letzten März zwar Riesenmaisstauden produzierte, die reifen
Kolben dann aber kein einziges Korn trugen...
Auch Selbstmord ist in eine Plage in Nepal: Er ist dort die häufigste
Todesursache der Frauen im gebärfähigen Alter. Dabei steigt
die Zahl der Toten jedes Jahr. Die Unfähigkeit, Söhne zu gebären
und dadurch von der Gesellschaft getadelt und verurteilt zu werden,
die Armut, die Unmöglichkeit, die Schulgebühren ihrer Kinder
zu bezahlen, und die Gewalttätigkeit der Männer machen die
Frauen dumpf, depressiv und unfähig, im Notfall zu reagieren. Jetzt
ist es Sijas und Munas Aufgabe, so viel Aufklärung wie möglich
zu leisten. Muna ist durch ihr Studium berechtigt, die Dreimonatsspritze
zu verabreichen, die die Frauen vor einer neuen Schwangerschaft schützen
soll. Leider vertragen die meisten diese gefährliche Verhütungsmethode
nicht.
Die Pille zu verteilen nützt nichts, weil die Frauen immer wieder
vergessen, sie einzunehmen, und Kondome werden von den meisten Männern
abgelehnt... Sija und Muna arbeiten nicht nur in dem Gesundheitsposten,
sondern organisieren zur Zeit auch einen Dienstplan, der uns ermöglichen
wird, mehr Menschen in Not in anderen Slums zu erreichen. Während
der Premierminister an der Modernisierung seines Landes arbeitet, werden
die Menschen weiterhin vergessen.
Ohne Organisationen wie unsere wären die Armen völlig hilflos
und alleingelassen.
Noch einmal vielen Dank an Sie alle, die diesen Beistand so treu unterstützen!
Wir melden uns Anfang September wieder.
Elisabeth Montet
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