Kalachakra hat vier Gesichter und 24 Arme. In intimer Vereinigung tanzt er mit seiner Gefährtin, der achtarmigen weiblichen Gottheit Vishvamata [Zeitmaschine und Mutter aller Buddhas]. Kâlachakra wird stets in dieser Verbindung dargestellt. Wie der Name bereits anzeigt, handelt es sich um eine Zeitmaschine: das sanskritische chakra wird in seiner Bedeutung "Rad" auf "Maschine" erweitert. Jedoch soll Maschine nicht als Zeitreise-Fahrzeug verstanden werden; vielmehr ist es hier im besonderen Sinn einer kunstvollen Schöpfung zu sehen, durch welche allumfassendes Mitgefühl die Zeit in eine Maschine umwandelt, um Erleuchtung für alle fühlenden Wesen zu bewirken.
Kâlachakra hat die Winde gebändigt, ihm ist es damit gelungen zu verhindern, daß das weiße, männliche Bodhicitta [Erklärung s.u.] das rote, weibliche Bodhicitta den Körper verlassen. So kann er den Zustand der Höchsten Wonne bewahren.
Die Beine Kâlachakras weisen auf diese Fähigkeit der Gottheit hin: Das rechte, rote Bein ist ausgestreckt, das Hinunterfließen des roten Bodhicitta andeutend, während das linke, weiße Bein angewinkelt ist und das Emporsteigen des weißen Bodhicitta darstellt. Kâlachakra steht mit jedem Fuß auf einer Gottheit: Symbol dafür, daß er - als formgewordene Buddhaschaft - die karmischen Winde im rechten und linken Kanal kontrolliert und sie in den zentralen Kanal leitet. Diesen Windkanal symbolisiert der Körper der Gottheit, dessen blaue Farbe für tiefe Weisheit steht. Außerdem stehen die hinduistischen Gottheiten unten den Füßen Kâlachakras für die durch ihn überwundenen negativen Eigenschaften Begierde und Haß.
Die drei Hälse Kâlachakras in den Farben Schwarz [Mitte], Rot [rechts] und Weiß [links] symbolisieren die drei wichtigsten Kanäle im Menschen sowie die drei Gruppen von je vier Zeitperioden bzw. vier Atemwechseln, dargestellt durch die vier Gesichter der Gottheit. Die sechs Schlüsselbeine entsprechen - im äußeren Rad der Zeit - den sechs Jahreszeiten [Frühjahr, heiße Saison, Regenzeit, Herbst [Erntezeit], früher Winter und später Winter [Zeit des Tauwetters]] sowie den sechs Perioden des Tages und der Nacht.
Die zwölf Schultern [auf der linken und rechten Seite je sechs] symbolisieren die zwei mal sechs Atemwechsel; die 24 Arme die schwarzen bzw. weißen Phasen in einem Jahr [zwölf zunehmende und zwölf abnehmende Mondphasen] und die 24 Halbperioden des Atems.
Analog zu den 360 Tagen eines Jahres und - innerlich - analog zu den je 60 Atemzügen zählenden 360 Perioden eines Tages sowie den 360 Knochen und Gelenken besitzt Kâlachakra an seinen 24 Händen 360 Fingerglieder und Fingergelenke [drei an jedem der fünf Finger der 24 Hände]. Sogar die Farben der einzelnen Finger besitzen tiefere Bedeutung: So entspricht die gelbe Außenseite des Daumens dem Element Erde, das Weiß des Zeigefingers dem Wasser, das Rot des Mittelfingers dem Feuer, das Schwarz des Ringfingers dem Wind und das Grün des kleinen Fingers dem Raum, während die Farbe der Innenseite der einzelnen Fingerglieder die Dreiheit Geist [schwarz], Sprache [rot] und Körper [weiß] symbolisiert.
Der große Meister Cilupâpa aus Orissa soll im Jahre 966 die Lehren des Kâlachakra-Tantra aus dem Reich Shambala nach Indien zurückgebracht haben. Schon 60 Jahre später fand dieses umfangreiche Lehrsystem den Weg nach Tibet. Bildquelle: Tibetan Thangka Painting - Methods and Materials - by David and Janice Jackson